2023
Ein
Jahr ist gar nichts. Ein loses Blatt im Wind, ein Atemzug. Einmal
weggesehen, schon ist es vorbei.
Eis zu Knospen, Knospen zu Blätter,
Wasservögel im See, Ernte, Stoppeln auf dem Feld und im Gesicht.
Der
Schnee rundet die Kanten ab, verwischt Unterschiede, lässt sie
verschwinden, macht sich alles gleich. Es gibt keine Strassen mehr,
keine Wege. Erst der Tau bringt die Dinge wieder hervor, das blosse
Sein geht weiter.
365
Sonnenaufgänge, 365 Sonnenuntergänge. Tod eines Verwandten, Geburt
eines Bekannten. Triefende Nase, gebrochener Zehe. Liebe und Trauer
gehen miteinander im Park spazieren, ich schwimme im Mittelmeer, ich
schwimme im Atlantik. Die chinesische Uhr an der Wand tickt im
Vierteltakt, die Zeiger beschreiben ihre Kreise. Lärm übertönt
alle Geräusche, sie erwachen bei Nacht in der Stille. Tick, tack,
tick, tack, tack, tick. Das Regelmässige wird zur Routine, die
Routine zerbricht die Gegenwart. Die Sonne bricht über die Welt und
fängt dort wieder an, wo sie gestern aufgehört hat, sie scheint.
Morgentassen
füllen sich mit Kaffee, werden geschrubbt, in den Schrank gestellt
und tauchen wie die Sonne beim kommenden Frühstück wieder auf.
Ein
Jahr, 365 Tage, Tage von wie vielen? Wochen von wie vielen?
Monate
werden zu Jahren, fünfzig, nein es werden bereits dreiundsechzig.
63 Jahre voller heimtückischer Tage, voller Freude und Leid,
voller unbeantworteter Fragen, voller Antworten die ich gar nicht
will. Ich flüchte aus der Gegenwart, ich flüchte aus dem Dorf, in
dem ich geboren bin.
Juden
sehen sich als das ausgewähltes Volk an, die Muslime schauen hinab
auf ihre Gebetsteppiche. Die christliche Welt hat seine Religion
verloren. Fremde Mächte, die nicht mal so fremd sind, überschreiten
die Grenzen und sie kommen nicht einfach um die Sehenswürdigkeiten
zu bewundern. Sie zerstören, so wie Touristen die fremden Kulturen
durch ihre Anwesenheit zerstören. Geld ist Macht, wer die Wirtschaft
kontrolliert, beherrscht die Welt.
Die
Welt ist aber weder der Suez- noch der Panamakanal. Doch nach den
Schuldigen am Schwarzen Meer, am Mittelmeer und am Persischen Golf
kommen die vom Mensch geschaffenen Wasserstrassen an die Reihe. Einer
muss ja schuld sein, dass das Leben nicht mehr lebenswert ist. Die
Macht des Wassers eignet sich da bestens, denn Wasser sucht sich
seinen Weg wie sich das Geld seinen Weg sucht.
Die
spanische Sprache kennt nur ein Verb um sowohl das Warten wie die
Hoffnung auszudrücken, esperar! Warten um zu hoffen, hoffen
beim warten! Auf was?
Reglos warten und hoffend harren, dass etwas
Erwartetes und Unerwartetes eintritt. Glück in einen Lottoschein des
Gordo legen, ihn enttäuscht zerknüllen, da nichts gewonnen. Hoffen
auf etwas besseres, das von alleine nie kommen wird. Warten auf eine
Besserung, die nie eintrifft. Sich abfinden mit dem Los das man
glaubt gezogen zu haben. Ja keine eigene Schuld am eigenen Versagen
und am eigenen Glück. Die Schuld liegt bei anderen, nur nicht bei
mir. Dabei wurde uns alles gegeben, alles um unser Leben selber zu
gestalten und selber zu geniessen. Keine Flucht nach links, keine
Flucht nach rechts, kein Zurück. Die Gegenwart liegt in unseren
Händen und mit der Gegenwart gestalten wir unsere Zukunft.
Meine
Geliebten hatten Recht, der Böse war ich. Mit meinen Ehefrauen war
es anders, ich liebte sie, sie liebten mich nicht. Sie liessen mich
stehen, nahmen mir alles. Dies wiederum gab mir die Möglichkeit die
leer gebliebenen Schubladen neu zu füllen. Nicht Alkohol, nicht
Drogen, nicht ein Hund weder Katzen gehören in diese Leere. Lass
nicht zu, dass das Hoffen zur Gewohnheit wird. Lass die Türe einfach
etwas geöffnet, versuche nichts mit Gewalt, der Tag wird kommen und
die Sonne bricht über die neue Welt und fängt dort wieder an, wo
sie vor Tagen, Wochen bis Jahre aufgehört hat zu wärmen. Ich hatte
mein Leben so sehr geliebt, ich musste erst lernen es zu vergessen,
neu aufzugleisen, auch wenn ich dazu 19 Tage und 500 Nächte wie
Joaquin Sabina benötigte.
Doch
die Sonne kam hinter den Bergen hervor. Unerwartet, unverhofft und
ungewollt. Gespenstisch und unvereinbar mit diesem Ort, mit diesem
Tag mit dieser Stunde. Ich suche den Schatten, fürchte mich vor dem
Glanz des Sonnenlichtes, ihrer Helligkeit und Wärme. Der Schatten
wandert, das Sonnenlicht gewinnt. Ich lasse mich erwärmen, erhellen
und ich glänze im Licht. Das ungewollte sucht mich heim. Ich lasse
es geschehen.
Sie ist jung und beweist ihre Dankbarkeit sehr demonstrativ. Ich mache es mir bequem und ich geniesse, ich geniesse die Gegenwart wie ein Märchen so süss. Wiedererlangtes Paradies, denke ich. Ich streife meine Schuhe von mir. Sie fummelt an meinen Knöpfen und reisst mir die Kleider vom Leib. Feucht und liebevoll erwartet sie mich mit glänzenden Augen. Ihre Haut schwelt wie ein Vulkan. Ich bin voller Erwartung. Es ist ein Traum, ein Fieberanfall. Kein gewöhnlich sterblicher kann diese unbeschreiblichen Gefühle verstehen. So viel gilt es zu erforschen, Gebirge, Täler und Spalten, neue Kontinente, uralte Flüsse und Gewässer.
Ich
soll verzichten, ich soll zurücktreten. Gegeben habe ich alles und
ein bisschen mehr. Bekommen habe ich nichts und ein bisschen weniger.
Vorgehalten wird mir, dass ich lebe, ich mich zum eigenen Richter
ernenne und mich mit unschuldig strafe. Meine Umwege zu meinen
Verwandten und Bekannten werden als Eigennutz abgestempelt. Kein Dank
erwarte ich, kein Dank bekomme ich. Sicher gibt es Söhne die mich
heute brauchen, die mich gestern vergassen. Dank der modernen Welt
bin ich da, auch wenn uns Berge, Wälder und Meere trennen. Trennen
uns keine Meere, Wälder und Berge bin ich da, aber wie es der Zufall
will werde ich nicht gebraucht. Was mache ich dann hier zu dieser
unpassenden Zeit, warten auf was, auf dass was geschieht und
hinsiechen in der Zeit. Zum Staub werden wie die Dinge um mir. Nein,
ein Vogel Phönix steckt in mir und er steht auf aus der glühend
heissen Kohle, reckt seine Schwingen, reckt seinen Hals, erhebt
seinen Kopf, torkelt vor sich hin und stürzt sich ins Leere voller
Lust und Tatendrang. Nenn es Eigensucht, nenne es Eigenliebe, ich
nenne es Unwissen, ich nenne es Neid.
Jeder ist sein Glückes
Schmied!
366
Sonnenaufgänge, 366 Sonnenuntergänge liegen vor mir. Tod eines
Verwandten, Geburt eines Kindes. Brennende Augen, verstauchte Hand.
Liebe und Trauer gehen miteinander im Wald spazieren, ich schwimme im
See, ich schwimme im Fluss, ich schwimme im Mittelmeer.