Alt

13.01.2024

Wenn man jung ist, kann die Zeit nicht schnell genug vorbei gehen, denn mit dem Alter werden Ziele erreicht wie erstes Motorrad, eigenes Auto, Lehrzeit mit eigenem Geld, Wohngemeinschaft mit Freunden, Wohnung mit Freundin, bestandener Schulabschluss und so vieles mehr bis man merkt, die unbeschwerte Jugendzeit ist vorbei.
Ich fühle mich nicht alt, ich fühle mich relativ fit und jung im Herzen. Wenn ich in den Spiegel schaue oder frisch von mir aufgenommene Fotos sehe, so erschrecke ich hie und da, aber das ist wohl normal.
Es gab eine Zeit, da bezeichnete ich mit Früher die Zeit vor ein paar Tagen, Wochen, Monaten, höchsten ein paar Jahren. Dieses Zeitgefühl des Früher hat sich verschoben und vor allem ausgedehnt. Wir schreiben das Jahr 2024 und es gibt Ereignisse, die ich zeitlich nicht mehr richtig einordnen kann. Ich glaube es wären noch keine 10 Jahre her und wenn ich den genauen Zeitpunkt prüfe, sind es meistens einige Jahre mehr, bis hin zu doppelt der geschätzten Jahre.

Eine Facebook Seite über meine Heimatstadt Luzern, der ich folge, veröffentlicht seit anfangs Jahr Fotos der Stadt und Umgebung von vor 100 Jahren. Bis, sagen wir gestern, waren diese 100 Jahre ein Leben vor meiner Zeit, heute gehört diese längst vergangene Zeit zu meinem Leben. Nein, ich bin noch keine 100 Jahre alt und noch weit von dieser Marke entfernt. Aber was vor 100 Jahren geschah, steht nun auch auf meinem Radar. Nicht, dass Grosseltern oder noch früher gelebte Ahnen keinen Einfluss auf mein Gedächtnis hätten, nein, nun sind es meine direkten Vorfahren, sprich meine Eltern, die vor 100 Jahren bereits gelebt haben und auf den Bildern der Stadt Luzern theoretisch auch abgebildet sein könnten. Mein Vater wurde 1918 geboren und als 6 jähriger ist er sicher durch die Strassen und Gassen der Stadt gestrichen. Meine Mutter war zwar erst 2 Jahre alt, aber meine Grosseltern wohnten mitten in der Altstadt, direkt an der Reuss und Grossmutter nahm die kleine Grithli sicher mit auf den Markt unter der Eck. Ich glaube nicht in einem Kinderwagen aber sicher in den Armen oder auf den Rücken gebunden. Also könnte ich theoretisch auf diesen 100 Jahre alten Bilder auf meine direkten Vorfahren, meine Eltern, stossen und dies macht mich alt, denn ich bin bereits ein Teil dieser 100 jährigen Geschichte.

Sprechen wir von Bildern, welche vor 50 Jahren aufgenommen wurden, also der Hälfte eines Jahrhunderts, eine Zeitspanne die wohl mehr Menschen erleben als die magische Grenze von 100, da stehe ich bereits mit beiden Füssen auf der Erde. Ein zugefrorener Rotsee, Schnee am Schwanenplatz und Überschwemmungen der Reuss entlang gehören zu meinen direkten Erinnerungen. Dazu gibt es auch einige Bilder aus meiner Kindheit, die sich bis heute über vergilbtes Papier über den Scanner bis auf die Festplatte meines Google Drive in meiner Erinnerung eingegraben haben. Es gibt Bilder, da glaube ich, sie sind erst gestern gemacht worden. Ich erinnere mich sogar an die Gespräche, welche wir vor und nach der Aufnahme führten. Ich erinnere mich an die heissi Schoggi, das Stück Brot, den halben Apfel und den Riegel Schokolade, die es zum Zvieri zum aufwärmen gab. Ich erinnere mich an den weissen Schnee, die kalten Füsse, den Schanzenbau und die kühnen Fahrten mit dem Schlitten vom Hügel direkt vor dem Haus. Ich erinnere mich an den halben Schultag am Samstag, das Schneegestöber auf der Heimfahrt, das umfahren der Rotlichtanlage um nicht zu spät zu kommen, die Busse der Polizei und das abgesagte Lauberhorn Rennen.

Ich fühle mich nun plötzlich ein Teil der Vergangenheit. Ich bin ein Teil der Vergangenheit. Ich geniesse das Heute weiterhin und versuche etwas für die Zukunft zu schaffen, bevor das Heute auch zur Vergangenheit wird.

Ich wünsch euch Lesern ein tolles Wochenende!