Chiwa - Usbekistan
Vor nicht einmal 10 Jahren bezeichneten wir die Stadt liebevoll als Freilichtmuseum. Heute ist es eines. Ohne gültige Eintrittskarte, 150'000 Som, wird der Besucher nicht in die Altstadt gelassen. Dafür kommt er mit diesem Ticket in alle Moscheen, Paläste, Grabmäler und Medresen rein. Viel gibt es zu sehen in dieser einzigartigen, von einer Schutzmauer umgebenen Stadt. Die meisten Monumente sind keine 200 Jahre alt, aber deren Schönheit begeistert jeden Besucher auf den ersten Blick, auch wenn er sich wenig für Geschichte interessiert.
Ich besuchte die Stadt an einem Sonntag. Vieles wurde seit meinem letzten Besuch verschönert, vieles ist noch nicht restauriert. Die Besucherzahlen nehmen wieder zu und an einem Sonntag wird die Stadt durch Schulklassen belagert. Ich tauche ein in die Vergangenheit und gleichzeitig schart sich die Zukunft Usbekistans um mich. Selfies möchten gerne die Schüler mit mir. Wieder zu Hause werden die ausländischen Besucher sicher ein reges Thema am Abendtisch sein und die Fotos auf den Handys von sich selber mit einem fremd aussehenden Gast gerne gezeigt. Viele Schulklassen nutzen den freien Tag mit ihrem Lehrer, um sich über die Geschichte des Landes vor Ort zu informieren. In ihrem Dorf kommt so wie nie ein Fremder vorbei und somit sind Gäste aus dem Ausland neben dem Kamel und den gekachelten Gebäuden eines der Hauptereignisse. Neben Souvenirs wie die Kaaba aus Mekka Made in China sind mitteleuropäische Gesichter etwas Besonderes. Hat sich der erste Mitschüler getraut, um ein Selfie mit Gast zu fragen, stehen der Rest der Klasse nicht hinten an.
Rund um Chiwa liegen die fünfzig Burgen. Sicher sind es mehr, bis zu zweihundert werden geschätzt, viele sind aber noch unter dem Sand der Wüste verborgen. Hier malte Igor Sawitzki fast zehn Jahre lang Landschaftsbilder, während seine Kollegen unter der brütenden Sonne Zentimeter u Zentimeter zweitausend Jahre alte Burgen und Tempel vom Sand befreiten. Die Landschaft um Chiwa ist flach und karg. Wo es Wasser gibt, wird es grün. Wo das Wasser verschwindet, es bleiben Salzkrusten übrig. Auch Chiwa ist über 2'500 Jahre alt. Bereits vor der islamischen Invasion im 8. Jahrhundert wurde hier Mathematik und Wissenschaft gelehrt. Die Invasion der Araber in Zentralarabien begann wie anderen Orten um das Jahr 650, dauerte allerdings mehrere Hundert Jahre. In den ersten Jahren existierte der Islam mit den vielen anderen Religionen der Region wie dem Christentum, Judentum, Buddhismus und Zoroastrismus. Die islamischen Truppen stiessen bei ihrer Eroberung bei der lokalen Bevölkerung auf grossen Widerstand. Nur durch Bezahlung mit zwei Dirham kamen die Bewohner zum Freitagsgebet. Was von den Arabern nicht zerstört wurde, Dschingis Khan nicht vernichtete, wusste Timur Lenk dem Erdboden gleich zu machen. Das alte Choresmien ist heute zwischen Usbekistan und dem Nachbarland Turkmenistan geteilt, die Geschichte, welche der Besucher heute erleben darf, wurde von anderen geschrieben. Die teils engen und verwinkelten Gassen, die sandsteinfarbenen Gebäude und die blauen, in der Sonne glitzernden Kuppeln versetzen den Besucher in eine zauberhafte Welt, vielleicht in eine Welt von 1001 Nacht, wie wir uns die Geschichten von Sherazade gerne vorstellen.
Einmal
die Stadt durch das Westtor betreten, steht das Wahrzeichen der Stadt
vor mir. Das Minarett Kalta Minor mit seinen Kacheln in
unzähligen blauen, weissen und roten Kacheln hätte einst mit einem
Durchmesser von stolzen 14 Meter das höchste Minarett Zentralasiens
werden sollen. Die Geschichte wollte es anders und so steht es nun in
Buchara. Dahinter befindet sich eine der zahlreichen Medresen, einst
eine reich ausgestattete Hochschule für das Studium des Korans und
der Islamwissenschaften dient es heute als Hotel. Die damaligen
Zellen der Studenten wurden liebevoll in Gästezimmer umgebaut.
Die
Juma Moschee ist von aussen
unscheinbar und als Gebetshaus nicht zu erkennen, wäre da nicht das
hohe Minarett mit seinem Gürtel aus blauer Glasur. Der trapezförmige
Innenraum aus dem Jahre 1788/89 besteht aus einem Säulenwald. Nicht
aus Marmor wie in der Grossen Moschee von Cordoba in Andalusien sind
die Säulen aus Holz. Über 200 unterschiedliche Säulen halten die
Decken. Die meisten Säulen sind schlank und klassische geschnitzt,
haben oben Kapitelle und stehen aus unterschiedlich grossen Sockeln.
Die unterschiedliche Länge der Säulen wurde durch die
unterschiedliche Höhe der Sockeln wieder ausgeglichen. Ich hatte das
Glück, vor einer Schulklasse den Raum zu betreten. Die Stille und
der Anblick des Säulenwaldes erinnert an einen fernen Palmenhain,
erinnert an den Ort in Arabien wo die ersten Muslime unter freiem
Himmel im Schatten der Palmen gebetet haben. Nur ein kleiner Teil des
Gebetsraumes ist mit Teppichen für das Gebet belegt. Während der
Gebetszeiten ist die Moschee für Besucher auch kurz geschlossen. Als
die Schulklasse das Gebäude wieder verliess, nutzte ich die Ruhe, um
mich in einer Ecke in mich zu kehren und mir das Bild des
Säulenwaldes im Herz einzuprägen. Solche Orte bringen mich zur Ruhe
und zum Nachdenken über Gott, die Welt und mich selber.
Wieder auf der autofreien Hauptstrasse schlendere ich in meine Gedanken versunken zu den weiteren Sehenswürdigkeiten. Links und rechts stehen Verkaufsstände, keiner der Verkäufer ist aufdringlich, zwingt dich zu einem Kauf. Erst wenn der Reisende vor seinen Waren stehen bleibt, scheint der Verkäufer zu erwachen und grüsst.
"Wer
sich nicht beeilt, verhält sich richtig – der macht aus
Maulbeerblättern Seide und aus Blüten Honig."
Alisher
Navoiy, Vater der usbekischen Literatur