Cordoba
Es ist bereits dunkel, als wir von Ciudad Real kommend in Córdoba eintreffen. Die Fahrt führte uns durch die dicht mit Steineichen bewaldete Sierra Morena und knapp 40 Kilometer vor Córdoba treffen wir bei Montoro auf die Autobahn von Linares, die über Córdoba nach Sevilla führt. Wir beziehen unser Quartier und gehen zu Fuss durch ein Aussenviertel der Altstadt zur Plaza Corredera. Der Mond ist aufgegangen und die engen, weissen Gassen Córdobas sehen im fahlen Mondlicht so arabisch aus wie nirgendwo sonst in Spanien.
Über
eine Hauptstrasse mit einer Allee aus Orangenbäumen gelangen wir zu
einem hübschen Platz mit einer bronzenen Reiterstatue, die
erstaunlicherweise einen Kopf aus weissem Marmor trägt. Man kommt an
zahlreichen Cafés und Tabernen vorbei, in denen Gruppen unter
Stierhörnern und Stierkämpferbildern ernsthafte Gespräche führen.
Die
Strasse führt weiter hinunter zur römischen Brücke und ich blicke
auf die Strudel des Guadalquiviers, die im Mondlicht glitzern. Türme
und weiss getünchte Gebäude stehen im Mondlicht. Ich versuche mir
vorzustellen, wie gross das Kalifat von Córdoba damals war. Doch
überall spüre ich eine heimliche Traurigkeit und die lastende
Schwere der Vergangenheit. Ein Bild von Kalifen mit ihren
Lieblingsfrauen, von Wohlgerüchen, Wasserkünsten, Gärten, Morden
und Verschwörungen will sich nur schwer einstellen. Córdoba
erscheint mir wie eine gute alte Dame. Nicht wie Sevilla, das einem
wie ein fröhliches, lachendes, herausforderndes junges Mädchen
vorkommt.
Gleich
nach dem Frühstück machen wir uns auf den Weg zur Moschee, die nur
wenige Meter entfernt ist. Ich wollte mich nicht von der Begeisterung
anstecken lassen, aber schon nach wenigen Minuten muss ich mich
geschlagen geben. Von allen muslimischen Bauten ist sie für mich
einzigartig. Dabei ist sie eigentlich gar nicht schön. Es ist wie
ein riesiger Wald aus Säulen. In endloser Perspektive reihen sich
die roten und weissen Bögen hinter- und nebeneinander. Wohin man
sich auch wendet, es ist immer der gleiche Anblick. Fast wie in einem
Spiegelkabinett. Hunderte von symmetrisch angeordneten Säulen aus
verschiedenfarbigem Marmor, die durch ein vielfältiges System von
Rippen und Bögen miteinander verbunden sind, erzielen eine Wirkung,
die durch nichts zu übertreffen ist. So primitiv die Anordnung ist,
so raffiniert ist die Wirkung. Man stellt sich vor, wie der erste
Sultan, Abd Al-Rahmân, seinen Baumeistern erklärte, dass es keine
Rolle spiele, ob zwei Säulen gleich hoch oder gleich dick seien. Um
Allahs willen soll man einfach die kürzere Säule so ergänzen, dass
sie zur längeren passt. Das Ergebnis hätte negativ sein können,
aber es war ein durchschlagender Erfolg. Als die Moschee später
erweitert werden musste, fiel seinen Nachfolgern einfach nichts
Besseres ein, und sie begnügten sich damit, das Bauwerk auf die
gleiche Weise auf seine heutigen überwältigenden Ausmasse zu
vergrössern. Wenn ich so durch den Säulenwald schlendere, habe ich
den Eindruck, dass ich unter dem Kalifat von Córdoba sehr gut hätte
leben können. Man glaubt gerne, dass die Kalifen vernünftige und
gütige Herrscher waren, die sich nicht nur für Krieg und Religion
interessierten, sondern auch für Astronomie, Poesie, Architektur,
Medizin und Philosophie. Mitten in der Moschee steht heute die
christliche Kathedrale. Um sie dort bauen zu können, wurden einige
Säulen kurzerhand abgerissen und die Kuppeln der Kathedrale ragen
über die Dächer der Moschee. Ich habe die Kathedrale nicht
betreten, weil gerade ein Gottesdienst stattfand. Aber es war
seltsam, mitten im Islam zu stehen und den Chor, die Sänger und die
gewaltige Orgel zu hören. Die Tatsache, dass die Kathedrale inmitten
der Moschee steht, ist eine Zusammenfassung der Geschichte Spaniens
im Mittelalter. Ein christliches Juwel in muslimischer Umgebung!
Die Familie von Abd Ar-Rahmân regierte den Islam über Generationen von Damaskus aus. Als einziges Mitglied seiner Familie entkam er dem Angriff der Abbasiden, die den Sitz des Kalifats nach Bagdad verlegten, mit dem Leben. Nach einer abenteuerlichen Reise erreichte er Mitte des 8. Jahrhunderts die Iberische Halbinsel. Er wusste nicht, ob ihn hier der Tod erwartete und die ansässigen Araber auf der Seite der besiegten Omajaden standen. Letzteres war der Fall, und er legte den Grundstein für das Emirat von Córdoba. Die Geschichte erzählt, dass er den ersten Granatapfelbaum und die erste Dattelpalme aus Syrien nach Spanien brachte. Die Samen beider Pflanzen verbreiteten sich von seinem Privatgarten aus über ganz Andalusien. Der grosse Ab Ar-Rahmân III. erbte 912 die Pracht Córdobas. Er nahm den Titel eines Kalifen an und trat in offene Rivalität mit Bagdad. Die Orangenblüten, die Intrigen, die Dichter, Musiker und Künstler des Kalifen, seine Astronomen, Mathematiker und Ärzte machten Córdoba zu einem Schauplatz aus Tausendundeiner Nacht in Europa.
Als Kalif errichtete er die Palastanlage Medina Zahara, etwa vier Kilometer ausserhalb von Córdoba, um der Welt seine Macht zu zeigen und auch als Erinnerung an seine Lieblingsfrau. Die Anlage ist auf drei Terrassen angelegt und von einer Mauer umgeben. Leider ist davon fast nichts mehr erhalten, aber die Überreste zeugen davon, dass sich hier einst die prächtigste Palaststadt befand, die je in Andalusien erbaut wurde. Wie die Geschichtsschreiber jener Zeit berichten, gab es hängende Gärten, Vogelhäuser, Tiergärten, Fischteiche, fliessende Gewässer, prächtige Innenhöfe und Pavillons mit zahlreichen Marmorsäulen. Einer der vielen Springbrunnen war aus Gold. Gerne hätte ich diesen Palast in seiner kurzen Glanzzeit mit den Statuen der schönen Zahara gesehen. Zu den Sehenswürdigkeiten gehörte auch der Quecksilberteich im Schlafgemach des Kalifen.