Datteloasen

15.01.2025

Vielleicht kommt nach Ghardaia einfach nichts mehr, vielleicht sind die Erwartungen zu hoch, vielleicht ist der Reisende auch müde, von Stein- und Sandwüste begleitet zu werden. Die Warnsignale der Dromedare begleiten uns weiter. Vor der einzigen grösseren Herde wurden wir nicht gewarnt. Einzelne Tiere haben wir unterwegs gesehen, eines sogar auf einem Pickup. Alte Reiseberichte schwärmen von der Gegend, aber schon im Algerien-Reiseführer aus dem Trescher-Verlag warnt uns die leider verstorbene Autorin Birgid Agada vor dem Verfall der alten Wohnviertel und des Ksars.

Die nächste Station unserer Reise ist Ouargla. Nach der üblichen Polizeikontrolle am Ortseingang fahren wir unter einer Brücke durch und, welch Überraschung, eine Strassenbahn fährt durch die Wüstenstadt. Wir fahren durch moderne Viertel, Autohäuser, Hotels und Wohnblocks säumen den Weg.
Zur Strassenbahn gehören Ampeln und langgezogene Bodenwellen. Irgendwann biegen wir links ab in die einst moderne Stadt der Franzosen. Hier pulsiert das Leben, hier findet man die üblichen Geschäfte und Restaurants. Dahinter liegt die Altstadt mit ihrem großen Marktplatz, den aus Lehm gebauten Häusern und der Moschee Lalla Aza. Dieser Teil der Stadt ist auf wenige Häuser zusammengeschrumpft, der Marktplatz existiert noch und einige der Stände werden noch betrieben. Aber die guten alten Zeiten sind längst vorbei und auch hier spürt der Besucher, dass die Regierung kein Interesse hat, die alten Orte zu erhalten und auf die neue Stadt mit Strassenbahn setzt.

Die Stadt Touggourt, auf Berberisch das Tor, ist umgeben von tausenden Palmenhainen, die vom Fluss M'Rihr und seinem Grundwasser bewässert werden. Der Ort selbst ist eine typisch algerische, lang gestreckte Stadt mit einem Hotel am Ortseingang und einem weiteren fast am Ortsausgang. Bekannt wurde der Ort auch dadurch, dass 1922 von hier aus André Citroën und sein Begleiter mit Spezialfahrzeugen zur Durchquerung der Sahara aufbrachen. Auch die beiden etwas südlich gelegenen Städte Temacine und Tamelhat haben ausser Palmenhainen nicht viel zu bieten. So kommen wir schneller als gedacht nach Biskra, der letzten Stadt mit Palmenhainen, Sanddünen, denn danach schützt das Aures-Gebirge den Norden vor den Sahara Winden.

Biskra ist die Hauptstadt der algerischen Datteln, was nicht heisst, dass alle Früchte von hier kommen. Die Haine, die wir auf der Fahrt von Ourgla bis hierher gesehen haben, liefern die benötigten Früchte an den Hauptmarkt in Biskra, wo sie für den nationalen Verbrauch und den internationalen Export aufbereitet werden. Jeder Bauer weiss, wer die besten Datteln des Landes anbietet, seine sind die besten.

Da über die letzten 500 Kilometer nichts mehr zu berichten ist, hier ein Auszug aus dem Buch von Alfred Stähelin, Basel, 1891, erschienen in der Verlagsbuchhandlung Benno Schwabe.

Alfred Stähelin (1853-1941) war ein Schweizer Kaufmann, Reisender und Schriftsteller. Er unternahm Reisen nach Amerika, Palästina und in den Maghreb und veröffentlichte seine Eindrücke und Erlebnisse in vielbeachteten Reiseberichten. Von einer weiteren Reise berichtet Stähelin über Südamerika in den Jahren 1880 und 1881.

Biskra 1885, Seite 66ff (Auszüge)
Biskra (Biskara), die Hauptstadt der Ziban, 125m ü.M. Gelegen, seit 1844 von den Franzosen besetzt, ist einer der wichtigsten Militärposten in Südalgerien, eine reiche, blühende Oase. Die Stadt besteht aus zwei gesonderten Teilen: der französischen Stadt oder Neu-Biskra und der arabischen, Alt-Biskra genannt. Die Bevölkerung zählt nach Bonnet (1881): 1607 Einwohner.
Die Strassen Biskra's haben zum Teil Arkaden. In der Hauptstrasse liegen der Cercle des officiers, das Hôtel du Sahara, sowie mehrere Privathäuser und Cafés. Die Häuser der Europäer sind meist aus Lehmziegeln gebaut und mit Ziegeldach versehen, die Mauern geweisst. Die Oase wird vom Oued Biskra bewässert, und Dank den zahlreichen, von den Franzosen angelegten Kanälen ist in der ganzen Oase das Wasser in reichlicher Fülle vorhanden. Die Zahl der Palmen soll an 200.000 betragen; eine andere Angabe lautet auf 150.000. Jede Palme bezahlt eine Steuer von 20-40 Cts. Neben den Palmen sind in Biskra Cypressen angepflanzt.
Biskra war im Jahre 1885 Endpunkt der Diligence-Line und des elektrischen Telegraphen.
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Abdellah (Fremdenführer des Hôtel Sahara) führte mich zunächst zu einer der Hauptsehenswürdigkeiten von Biskra, nämlich dem prachtvollen Schloss und Garten des Herrn Landon, dessen Besitzer, ein Franzose, zu seiner Villa einen musterhaft schönen Park mit Dattelpalmen und allen möglichen Gewächsen der gemässigten und heissen Zone hier in der Wüste geschaffen hat. Besonders bewunderte ich die mannigfaltigen Palmenarten, die schönen Oleander und kostete die vorzüglichen Datteln. Der schwarze Türhüter und Wegweiser, der ein gründlicher Kenner sämtlicher im Garten vorkommenden Pflanzen sein soll, forderte in Abwesenheit seines Herrn jedem Besucher die Visitenkarte ab und zeigte sich natürlich nebenbei für ein kleines Bene nicht unempfindlich.

Nachmittags lenkten wir unsere Schritte nach Alt-Biskra, einem ausschliesslich von arabischen Familien bewohntes Dorf, eine halbe Stunde von der Stadt entfernt. Dort sind alle Häuser aus "Toub", d.h. An der Sonne getrockneten, ca. 1/2 m langen, 1/4 m breiten Erdbacksteinen erbaut. Wir besuchten einen öffentlichen Garten und durften nach Belieben Datteln vom Baume selbst herunterpflücken. Haufenweise lagen kleine gelbe Datteln am Boden, bereit, in Säcke verpackt und verkauft zu werden. Dies waren aber Datteln von ziemlich geringer Qualität, die hauptsächlich als Futter für die Ziegen und Kamele dienen.

Durch die von zahlreichen Wassergräben durchzogenen Strassen Alt-Biskra's schlendernd, wo ich augenblicklich der einzige in dunklem Anzug gekleidete Europäer war, ..... begaben wir uns nach dem ehemaligen Fort arabe auf einem Hügel. Heutzutage erblickt man davon nicht viel mehr als halbzerfallenes Gemäuer.

In der Nähe von Alt-Biskra liegt ein arabischer Gottesacker. Die meisten Gräber sind höchst einfach: es sind kleine sargförmige Erdhäufchen mit zwei Erdbacksteinen darauf als Grabsteine; bloss vereinzelte tragen eine geweisste Koubba (Kuppel).
Auf Veranlassung meines Führers Abdallah – der mir übrigens schon allerlei gute Ratschläge für die bevorstehende Reise erteilt und mich einige courante arabische Ausdrücke gelehrt hatte – stattete ich dem Kaid von Biskra einen Besuch ab, um mir, wie Abdallah sagte, s.Z. Beim Agha von Tuggurth eine gute Aufnahme zu sichern.Wir wurden ohne weiteres zugelassen und in den Garten des Kaid geführt,, wo uns der hohe Herr in einer oben gedeckten, sonst aber offenen Veranda, nach muselmännischer Sitte auf einer Matte am Boden sitzend, empfing. ..... Mittlerweile hatte ich Gelegenheit, den würdigen Araber näher in Augenschein zu nehmen. Er trug türkisches Kostüm, goldene Uhr und Kette. Sodann kam das Gespräch auf die heurige Dattelernte, über welche der Kaid seine hohe Befriedigung ausdrückte.

Höchst besuchenswert ist in Biskra der Markt, eine gedeckte Halle mit Hof. In dieser Halle sitzen die Händler, welche Gewebe, Tücher, Burnusse, Lederarbeiten, Früchte und Lebensmittel feilbieten, während im Hof Datteln, Teer etc. Verkauft werden. ......

In Biskra hat man am Abend Gelegenheit, dem Tanze der Oulad-Nail in den arabischen Kaffeehäusern zuzuschauen. ......

Biskra erfreut sich trotz einer ausserordentlichen Hitze der Sommermonate im grossen und ganzen eines gesunden Klimas. Es ist namentlich im Winter und Frühling ein beliebter Aufenthalt der Touristen, meist Engländer und Franzosen, ferner der Maler, die hier reichen Stoff für ihre Gemälde finden.Kann man sich auch 'was Schöneres denken, als aus dem kahlen, wüsten, von den Winden unaufhörlich gefegten Hochplateau von Batna, das im Winter mit Schnee bedeckt ist, binnen weniger Stunden in die im intensiven Lichte der afrikanischen Sonne erglänzende Palmenoase versetzt zu werden, wo es im Jahr durchschnittlich bloss 8-10 Mal regnet.

Von Biskra aus reiste er weiter in den Südend bis Touggourt und die umliegenden Oasen:

Tuggurth 1885, Seite 98ff (Auszüge)
Der Hauptplatz von Tuggurth enthält die Kasbah (Citadelle), worin die neue Kaseren der französischen Garnison liegt, ferner das Haus des Agha, den Télégraphe otique, die Post. Der Kasbahplatz ist gegen Süden offen. Die meisten Häuser auf diesem Platz und dem daranstossenden resp. Durch die Ksbah davon getrennten Marktplatz haben vor den Eingängen Verandas, welche durch Palmpfosten gestützt und mit Palmblättern gedeckt sind, somit hinlänglich Schutz vor den glühenden Sonnenstrahlen verleihen; wiederum andere Wohnungen haben grobe, in Gypsstein aufgeführte Arkaden. Nächst dem Hause des Agha ist das Gebäude der Compaginie de l'Oued Rirh das schönste der Stadt; beide haben den Luxus kleiner Gitterfensterchen und geweisste Mauern. Die Häuser der Tuggurthiner sind ebenerdig und in toub oder pisé oder auch in Gyps-(Kalk-)Stein erbaut. Die Hausdächer bezw. Terrassen dienen den Frauen zum Aufenthalt, sowie zum Aufbewahren von Datteln, Piment etc.; vor den Häusern baumeln Wasserschläuche. Fenster besitzen die arabischen Häuser Tuggurth's nicht.
Die Stadt ist durch eine 8-10 m hohe Böschung vor Sandverwehung geschützt.
Mehrere Strassen von Tugurth sind gedeckt, d.h. Die Terrassen der Häuser sind mit Palmbalken gestützt, welche dicht aneinander gereiht sind und quer über die Strasse hin reichen. Dieser Umstand hat natürlich in diesem sonnigen Lande den Vorteil, dass man bei der ärgsten Hitze angenehm am Schatten wandeln kann – anderseits aber ist eine solche gedeckte Strasse so finster, dass man füglich glauben könnte, man schreite durch eine Höhle! Von diesen Strassen gehen Sackgässchen aus, durch die einzig, sowie durch etwa gelassene Öffnungen das Tageslicht eindringt. Dabei sind die Strassen Tuggurth's so eng, dass kaum zwei Personen nebeneinander vorbei gehen können, und überdies trifft man gewöhnlich eine Menge mit Futter, Datteln u. Drgl. beladene Ziegen und Esel darin an. Hat sich das Auge allmählig an das Halbdunkel gewöhnt, so gewährt es zu beiden Häuserseiten eine Art Gesims oder Divan aus Erde oder Lehm, geweisst, worauf die Tuggurthiner auf Matten kauern oder ausgestreckt daliegen. - Am Ende einer Strasse fand ich ein schmales und so niedriges Törchen, dass ich nur in gebückter Stellung durchkommen konnte.

Von Beleuchtung ist weder auf den Plätzen noch in den Strassen die mindeste Spur zu entdecken – kein Wunder daher, wenn bei Eintritt der Dunkelheit sich alles ins Innere der Häuser zurückzieht und man bald nichts mehr sieht und hört als einzig etwa die monotone Musik, welche aus einem Café maure ertönt. Mit einem Wort, Tuggurth ist alsdann radikal ausgestorben! ......
Die Bewohner von Tuggurth variieren in der Hautfarbe von Hellbraun bis zu Negerschwarz; immerhin sind sie viel dunkelfarbiger als die Constantiner und Algierer. Die islamitischen Juden sind zahlreich und bewohnen das Quartier Medjaria im nördlichen Stadtteil. Diese Leute wurden s.Z. Mit Gewalt zum Islam bekehrt.

Die Frauen und Mädchen des Volks tragen vielfach ein dunkelblaues Gewand mit ebensolcher Kapuze. Die Araberinnen des wohlhabenden Standes lassen sich selten auf der Strasse blicken, und wenn dies der Fall ist, dann sieht man sie nie unverschleiert.
Vom frühen Morgen bis zum späten Abend sind die Cafés maures mit Männern und jungen Leuten gefüllt, welche rauchen, Kaffee trinken und Karten spielen.
In der Nähe der Stadt liegen die Grabmäler der Ben Djellab, d.h. Der ehemaligen Sultane von Tuggurth, die bis zur Eroberung des Oued Rith durch die Franzosen (1854) das Land regierten.

Mit dem benachbarten Dorfe Nezla zählt die Oase Tuggurth etwa 6000 Einwohner. Um die Stadt sind Nomaden gelagert, Chambaa, welche gewöhnlich um die Zeit der Dattelernte herkommen, um Korn und Gerste gegen Datteln und Wolle einzutauschen. ......
Fleisch, bezw. Schaffleisch und Geflügel – rund – und Kalbfleisch mangeln gänzlich – wird vom ärmeren Volk in Tuggurth wenig oder gar nicht gegessen; Datteln und Rouina (ein mit Wasser oder Milch verdünntes Gericht von gerösteter, zerstossener und gepfefferter Gerste) bilden eben die Hauptnahrung. Deer Kuskus wird, mit Pfeffer oder mit Zucker zubereitet, genossen. ....... Getränke sind Brunnenwasser, Kameels- und Ziegenmilch und Lagmi (Palmenwein). Auch dem Absinth, Cognac etc. Sind die Tuggurthiner nicht abhold.

Die Bewohner Tuggurth's verfertigen schöne Haiks, Burnusse, ferner Schuhe, Stiefel, gelbe Pantoffeln und allerlei Lederarbeiten etc. Eine Specialität von Tuggurth sind die hübschen Palmblattfächer à 25 Sous das Stück. Als Trinkgefässe dienen den Arabern Schalen aus Halfa (knouna genannt). .....
Zum Besuch der Hauptmoschee gen. Djema-Kebir durfte ich merkwürdigerweise die Schuhe anbehalten. Diese Moschee soll im Jahre 1805 von einem Cheik von Tuggurth, dem Ibrahim ben Ahmed ben Mohammed ben Djellab, erbaut worden sein. Sie ruht auf einer der Säulen in tunesischem Marmor getragenen Arkade, enthält schöne Wandmalereien und arabische Inschriften. Ich erstieg auch das Minaret und genoss von dort oben eine schöne Aussicht auf Stadt und Oase.

Die Oase von Tuggurth zählt rund 200'000 Dattelpalmen und hat von Nord nach Süd gemessen eine Ausdehnung von 8 km. Die Gärten, worin auch Gemüse und Getreide gebaut werden, Feigen und Granatäpfel gedeihen, liegen im Süden und Osten der Stadt......

Die Dattelpalme (im Land kurzweg "palmier" genannt) ist der "König der Sahara". Die Dattel bildet das Hauptnahrungs-, ja Hauptexistenzmittel der Sahara Bewohner; die Frucht dient ihnen als Nahrung, das Holz als Bau- und Brennmaterial. Ohne die Dattelpalme könnten sie da überhaupt gar nicht leben! Ein arabisches Sprichwort sagt von ihr: "Das Haupt im Feuer, den Fuss im Wasser."
In der Tat bedarf es zu deren Gedeihen reichlicher Bewässerung sowohl als auch der heissen Wüstensonne.
In den Oasen des Oued Rirh sind die Dattelpalmen linienmässig in den Gärten angepflanzt und diese sind durch Erdwälle von einander getrennt. Nachtfröste von einigen Grad unter Null kann die Palme ohne Schaden aushalten, ebenso die Hitze von 50° (C.) und darüber. Die Palme erreicht eine Höhe von 40 bis 50' und trägt nach 4-5 Jahren der Anpflanzung. Die Palmen von Laghouat sind schlanker und höher als die von Tuggurth. Jeder Baum zahlt eine Steuer, variiert zwischen 25 und 50 Cts. Verkauft werden die Datteln gewöhnlich per Régime (Ast) von 10-20 Kilogr. In Qualität sollen die Datteln vom Souf den ersten Rang einnehmen; dann kommen die von Metlili (Ortschaft südlich von Gardaia), Ouargla und Tuggurth, welch' erstere via Laghouat, letztere via Biskra nach Europa gelangen. Die Biskra-Datteln geniessen eines besseren Rufs als die von Laghouat. (Es sind jedoch auf dem Markt von Biskra viele Datteln, welche unter dem Namen "dattes de Biskra" nach Europa versandt werden, die keineswegs alle in Biskra gewachsen sind, sondern gerade die trefflichen Tafeldatteln kommen in der Regel aus dem südlichen Sahara-Oasen.) .....

Der Sahara-Reisende Victor Largeau bezeichnet Tuggurth als ein wichtiges Handelscentrum in der Sahara, da folgende grosse Karawanenrouten daselbst bzw. In der Nähe ausmünden:
1. die vn Tunis via El Oued
2. von Südosten die Karawanenrouten von Bornu, Haussa, Damergu via Rhat, Thadames, El Oued oder Ouargla, oder via Rhat, Hoggar-Land und Ouargla
3. von Südwesten die Route von Timbuktu und Adrar via In-Salah und Ouargla.