Durst, über Nacht

13.11.2022

Beat Portmann sein Name, Frank Landsteiner sein Ich. Die Trilogie von Krimis erschienen in den Jahren 2008, 2011 und 2014 im Limmat Verlag Zürich in der Reihe Tatortschweiz. Das erste Mal gelesen von hinten nach vorne, April 2015, September 2017 und November 2017. Das zweite Mal gelesen in richtiger Reihenfolge, von Band eins über Band zwei bis zur letzten Seite des Band drei, zwischen Freitag dem 4. November und Dienstag, dem 8. November 2022, letzteres auf dem Flug nach Tirana, Albanien.

Die drei Bücher standen bei mir im Bücherregal unter der Abteilung, lohnen sich nochmals zu lesen, danach in den Secondhand Buchladen. Alle drei Bücher bezeichne ich nicht als Krimis, sondern als Bücher der Taten, der Fakten, der Gegenwart, des wirklichen, heutigen Seins. Es gibt zwar Tote, es gibt Waffen, Underground, Liebe, aber kein Sex. Sex wird angedeutet in seinen verschiedenen Konstellationen, nicht aber in die Tiefe beschrieben. Der Leser weiss auch so, um was es bei den beschriebenen Personen geht, spürt deren Gefühle und entdeckt zwischen den Linien deren Vorlieben und Sehnsüchte.
Portmann versteht seine Bücher der Trilogie auch nicht als Krimis, sondern höchstens als Romane mit kriminalistischen Elementen, die aber mehr und mehr den Regeln des Genres zuwiderlaufen.

"Durst" ist der Bürgerkrieg im Balkan. Die Flüchtlinge in der Schweiz, deren Sorgen, deren Freuden, deren innerlicher Kampf zwischen zwei Kulturen zu leben. Kleingangster mit Herz. Fabrikarbeiter mit Heimweh. Der nur biertrinkende Ich-Erzähler raucht, was die Lungen hergeben. Wohnt alleine in seiner Zweizimmer-Wohnung in einem Wohnhaus an der Gerliswilerstrasse in Emmenbrücke. Er schläft morgens seinen Rausch aus, arbeitet nachmittags und forscht in der Nacht bis zum Morgengrauen. Zählt Freunde aus dem Balkan zu seinen Komplizen. Vergisst seinen drogenabhängigen Freund bis es zu spät ist. Frauen gibt es, ausser der Mutter seiner Tochter in den Romanen eins und zwei nur eine. Er lernt sie als Undercover Callgirl kennen, merkt aber, dass sie seine intellektuelle Ergänzung ist. Dabei passt sie als Mensch überhaupt nicht zu ihm.

"alles still" sind die Jesuiten und ihr Einfluss in und um Luzern. Sein weibliches Ebenbild finden wir in der Person mit patrizischer Herkunft, Salesia Pfyffer. Pfyffer, die Erbauer des Löwendenkmals, ein geadeltes Patriziergeschlecht der ehemals freien eidgenössischen Stadt und Republik Luzern. Im Jahre 1574 trafen die ersten Jesuiten in Luzern ein. Sie wirkten in Seelsorge und Krankenpflege. Ein paar Jahre später rückte mit der Stiftung eines Kollegs der Schuldienst ins Zentrum. Die Jesuiten verpflichteten sich, das nötige Personal für Schule und Seelsorge zur Verfügung zu stellen. Die Stadt versprach im Gegenzug für den Unterhalt aufzukommen.
Auf der Spreuerbrücke begegnet der Tod den Lebenden. Auf den Tafeln mischt sich der Tod unauffällig unter das Volk. Meist ist er nur am Totenkopf zu erkennen. Dem Pfarrer geht er als Sigrist mit Glocke und Laterne voran; die Priorin zieht er zu sich ins Bett, ins Grab. Hinweise auf die jüngste Geschichte der Pfyffer finden sich nicht nur beim Totentanz, dem qualmenden Jesuiten im Ruhestand, der Hofkirche, sondern auch bei den Erinnerungen verschiedenster Menschen, welche Salesias Mutter persönlich und flüchtig kannten.

"Vor der Zeit" ist auf der Spur der Mutter aller Bücher, der Urschrift. Portmann wagt sich raus aus Emmenbrücke und Luzern. Wir finden ihn auf Sizilien, auf den Spuren von Mächten wie der von Roger II, Friedrich II der Hohenstaufen, mesopotamischen Chronisten und andalusischen Reisenden. Selber reist er mit der Eisenbahn dem italienischen Stiefel entlang bis Sizilien, dem Stein, über den Europa während seiner Geschichte wiederholt stolpert.
Die Gegebenheiten, die Vorfälle und Zufälle werden geleitet vom Krankenbett eines Reichen, der hoch über dem Zugersee thront. Von hier aus lässt er dank seinem Vermögen walten und schalten. Schickt seine Marionetten von Sizilien des 12. Jahrhunderts über die Ritter des Weissen Kreuzes und der Minaretten-Initiative ins vom Bürgerkrieg gezeichnete Sarajevo. Immer auf der Suche nach der Urschrift, in der alles, was existiert, niedergeschrieben ist. Wie auch der Altar Salomons, ist die Urschrift nicht zu lokalisieren und lebt weiter in den Träumen der Forscher und Glaubensritter.

Ausserhalb der Trilogie, erschienen in einem anderen Verlag, entdecken wir in "über Nacht" sein wirkliches Ich, kein Kettenraucher mehr, aber Biertrinker bleibt er, ein Lebenskünstler, ein Musiker, ein landsteiner.ch. Ein Schweizer der nie eingebürgert werden wollte. In einer einzigen Nacht treffen sich Menschen von unterschiedlichen Charakteren. Erleben die Nacht, wie es in Luzern nicht nur eine gab, gibt und geben wird. Verrauchte Bars, private Ankerpunkte, Kultur, Leben, Sein. Nora kämpft um ihr Zukunft als beruflich unbefriedigte Journalistin. Ihre Freunde sind ihr aber wichtiger als die journalistische Pflicht. Mit dabei ist Frank und der Kleine Gaukler. Beide verschwinden zwischen den Seiten, drehen ihr Ding, tauchen aber immer wieder auf und helfen Nora die Zeit der Jugend hinter sich zu lassen. Eine Nacht, in der sich nicht nur das Leben der lebendig und witzig beschriebenen Personen verändert, sondern auch das Bewusstsein des Lesers.
Frank Landsteiner glaubt, dass es da draussen ein paar Leute gibt, die einen Zugang zu seiner Hommage an die Nacht und den Abgesang an die wilden Jahre gibt. Menschen, wie ich, die sich in "über Nacht" selber wieder begegnen.

Die drei Bücher stehen nun bei mir im Bücherregal unter der Abteilung, behalten!