Durst, über Nacht
Beat Portmann sein Name, Frank Landsteiner sein Ich. Die Trilogie von Krimis erschienen in den Jahren 2008, 2011 und 2014 im Limmat Verlag Zürich in der Reihe Tatortschweiz. Das erste Mal gelesen von hinten nach vorne, April 2015, September 2017 und November 2017. Das zweite Mal gelesen in richtiger Reihenfolge, von Band eins über Band zwei bis zur letzten Seite des Band drei, zwischen Freitag dem 4. November und Dienstag, dem 8. November 2022, letzteres auf dem Flug nach Tirana, Albanien.
Die drei
Bücher standen bei mir im Bücherregal unter der Abteilung, lohnen
sich nochmals zu lesen, danach in den Secondhand Buchladen. Alle drei
Bücher bezeichne ich nicht als Krimis, sondern als Bücher der
Taten, der Fakten, der Gegenwart, des wirklichen, heutigen Seins. Es
gibt zwar Tote, es gibt Waffen, Underground, Liebe, aber kein Sex. Sex
wird angedeutet in seinen verschiedenen Konstellationen, nicht aber
in die Tiefe beschrieben. Der Leser weiss auch so, um was es bei den
beschriebenen Personen geht, spürt deren Gefühle und entdeckt
zwischen den Linien deren Vorlieben und Sehnsüchte.
Portmann versteht seine Bücher der Trilogie auch nicht als Krimis, sondern höchstens als Romane mit kriminalistischen Elementen, die aber mehr und mehr den Regeln des Genres zuwiderlaufen.
"Durst"
ist der Bürgerkrieg im Balkan. Die Flüchtlinge in der Schweiz,
deren Sorgen, deren Freuden, deren innerlicher Kampf zwischen zwei
Kulturen zu leben. Kleingangster mit Herz. Fabrikarbeiter mit
Heimweh. Der nur biertrinkende Ich-Erzähler raucht, was die Lungen
hergeben. Wohnt alleine in seiner Zweizimmer-Wohnung in einem
Wohnhaus an der Gerliswilerstrasse in Emmenbrücke. Er schläft morgens
seinen Rausch aus, arbeitet nachmittags und forscht in der Nacht bis
zum Morgengrauen. Zählt Freunde aus dem Balkan zu seinen Komplizen.
Vergisst seinen drogenabhängigen Freund bis es zu spät ist. Frauen
gibt es, ausser der Mutter seiner Tochter in den Romanen eins und
zwei nur eine. Er lernt sie als Undercover Callgirl kennen, merkt
aber, dass sie seine intellektuelle Ergänzung ist. Dabei passt sie
als Mensch überhaupt nicht zu ihm.
"alles
still" sind die Jesuiten
und ihr Einfluss in und um Luzern. Sein weibliches Ebenbild finden
wir in der Person mit patrizischer Herkunft, Salesia Pfyffer.
Pfyffer, die Erbauer des Löwendenkmals, ein
geadeltes Patriziergeschlecht
der
ehemals freien eidgenössischen Stadt und Republik Luzern.
Im Jahre 1574
trafen die ersten Jesuiten in Luzern ein. Sie wirkten in Seelsorge
und Krankenpflege. Ein paar Jahre später rückte mit der Stiftung
eines Kollegs der Schuldienst ins Zentrum. Die Jesuiten
verpflichteten sich, das nötige Personal für Schule und Seelsorge
zur Verfügung zu stellen. Die Stadt versprach im Gegenzug für den
Unterhalt aufzukommen.
Auf der Spreuerbrücke begegnet
der Tod den Lebenden.
Auf
den Tafeln mischt sich der Tod unauffällig unter das Volk. Meist ist
er nur am Totenkopf zu erkennen. Dem Pfarrer geht er als Sigrist mit
Glocke und Laterne voran; die Priorin zieht er zu sich ins Bett, ins
Grab. Hinweise auf die jüngste Geschichte der Pfyffer finden sich
nicht nur beim Totentanz, dem qualmenden Jesuiten im Ruhestand, der Hofkirche, sondern auch bei den Erinnerungen verschiedenster Menschen, welche
Salesias Mutter persönlich und flüchtig kannten.
"Vor
der Zeit" ist auf der Spur der Mutter aller Bücher, der
Urschrift. Portmann wagt sich raus aus Emmenbrücke und Luzern. Wir finden
ihn auf Sizilien, auf den Spuren von Mächten wie der von Roger II, Friedrich
II der Hohenstaufen, mesopotamischen Chronisten und andalusischen
Reisenden. Selber reist er mit der Eisenbahn dem italienischen
Stiefel entlang bis Sizilien, dem Stein, über den Europa während
seiner Geschichte wiederholt stolpert.
Die Gegebenheiten, die
Vorfälle und Zufälle werden geleitet vom Krankenbett eines Reichen,
der hoch über dem Zugersee thront. Von hier aus lässt er dank
seinem Vermögen walten und schalten. Schickt seine Marionetten von
Sizilien des 12. Jahrhunderts über die Ritter des Weissen Kreuzes und
der Minaretten-Initiative ins vom Bürgerkrieg gezeichnete Sarajevo.
Immer auf der Suche nach der Urschrift, in der alles, was existiert,
niedergeschrieben ist. Wie auch der Altar Salomons, ist die Urschrift
nicht zu lokalisieren und lebt weiter in den Träumen der Forscher
und Glaubensritter.
Ausserhalb
der Trilogie, erschienen in einem anderen Verlag, entdecken wir in "über Nacht" sein wirkliches Ich, kein Kettenraucher
mehr, aber Biertrinker bleibt er, ein Lebenskünstler, ein
Musiker, ein landsteiner.ch. Ein Schweizer der nie eingebürgert
werden wollte. In einer einzigen Nacht treffen sich Menschen von
unterschiedlichen Charakteren. Erleben die Nacht, wie es in Luzern
nicht nur eine gab, gibt und geben wird. Verrauchte Bars, private
Ankerpunkte, Kultur, Leben, Sein. Nora kämpft um ihr Zukunft als
beruflich unbefriedigte Journalistin. Ihre Freunde sind ihr aber
wichtiger als die journalistische Pflicht. Mit dabei ist Frank und
der Kleine Gaukler. Beide verschwinden zwischen den Seiten, drehen
ihr Ding, tauchen aber immer wieder auf und helfen Nora die Zeit der
Jugend hinter sich zu lassen. Eine Nacht, in der sich nicht nur das
Leben der lebendig und witzig beschriebenen Personen verändert,
sondern auch das Bewusstsein des Lesers.
Frank Landsteiner glaubt, dass es da draussen ein paar Leute gibt, die einen Zugang zu seiner Hommage an die Nacht und den Abgesang an die wilden Jahre gibt. Menschen, wie ich, die sich in "über Nacht" selber wieder begegnen.
Die drei
Bücher stehen nun bei mir im Bücherregal unter der Abteilung,
behalten!