Feindbild

07.11.2022

Mein Vater ist im Jahre 1918 geboren und hat somit den zweiten Weltkrieg aktiv mitgemacht und die Neutralität der Schweiz an der Grenze geschützt. Von dieser Zeit her war während seinem ganzen Leben bis zu seinem Tode der grosse Feind der grosse Kanton im Norden, Deutschland oder wie von seiner Schweizer Generation genannt, die Schwoben. Interessant war, dass seine über alles geliebte Mutter, und somit meine Grossmutter, eine gebürtige Schwarzwälderin und, somit, eine Deutsche, war. Dieser Umstand konnte ihn nicht daran hindern, sich über Missgeschicke der Deutschen im Sport zu freuen und schlecht über unseren Nachbarn zu lästern.
Über 40 Jahre später absolvierte ich meine militärische Rekrutenschule und meine obligatorischen Wehrdienste. Das Feindbild hatte sich geändert, wir wurden nun immer von Osten her angegriffen. Die UdSSR war unser Feind, der uns nicht in Ruhe liess. Ihn galt es nicht aus den Augen zu lassen, vom Osten kam das Böse, vom Osten wurden wir bedroht und Wachsam zu sein eingeschworen.
Auch wenn ich bei einer Besprechung meinte, dass wir ja bereits einen roten Pass hätten, änderte die Reden unserer Offiziere nicht. Im November 1989 fallen dann die Mauern in Berlin, die Grenzen öffnen sich und plötzlich gab es keinen Feind namens UdSSR mehr. Wir feierten die Freiheit des deutschen Volkes und merkten nicht, dass wir feind los geworden sind. Wohin mit unserem Hass, wohin mit den einseitigen Erklärungen, mit den Ausreden der Verantwortlichen, dass alles Negative aus dem Osten kommt?

Mit Feindbild wird ein soziales Deutungsmuster gegenüber anderen Menschen, Menschengruppen, Völkern, Staaten oder Ideologien bezeichnet, das auf einer Schwarz-Weiss-Sicht der Welt beruht und mit negativen Vorstellungen, Einstellungen und Gefühlen verbunden ist. Typisch für ein Feindbild ist, dass im Anderen, im Fremden das Böse gesehen wird und diesem negativen Bild kontrastierend ein positives Selbstbild, ein Freundbild, gegenübergestellt wird.
Plötzlich hatten wir nur noch Freundbilder. Die Politiker und Herrscher waren gefordert, ein neues Feindbild musste erschaffen werden. Lange wurde gesucht bis in der Religion des Islam ein neues Feindbild geschaffen wurde. Terrorismus, Anschläge, Entführungen, barttragende Männer, verschleierte Frauen, Vielweiberei, unverständliche Sprache und eine unbekannte Religion halfen uns ein neues, schreckliches Feindbild vor die Augen zu stellen. Aber irgendwie waren wir intelligenter geworden, oder das Bild wurde in einer Zeit, wo vielfältigere Medien auftauchten, nie so stark wie die früheren Feindbilder. September 2001 wurden vier Flugzeuge entführt, welche innert Minuten in die Zwillingstürme des World Trade Center in New York flogen. Eine neue Ära der Vermarktung begann, deren Rätsels Lösung ist bis heute nicht geklärt. Irgendwie war trotz der unfassbaren Taten das Bild zu wässerig, zu viel Nebel lag auf den Feinden, dass man sie nicht richtig fassen, wahrnehmen konnte.
Und heute, heute sind wir, wie in der Mode, wieder zurück in die 1980er Jahre gereist, Russland (nicht mehr UdSSR) hält den Kopf hin als unser Feind. Feindbild in einer Person zusammengefasst. Putin ist der Verursacher der Klimakrise, des Hungers in Afrika, der Teuerung in Europa und Amerika.
Endlich, wir können wieder unser positives Spiegelbild in Ruhe betrachten und wissen,
das Böse kommt aus dem Osten!