Kafkaesk
Absurd ist nur der Vorname, wie eine Vorladung zweier Parteien beginnt und wie sie endet. Absurd ist das System, auch wenn es greifbar und nicht unbekannt ist, wie in Franz Kafkas unvollendetem Roman Der Prozess.
Das Familiengericht der Stadt Basel wird von verschiedenen Richtern präsidiert, die auch in den anderen Zivilgerichten zu finden sind. Ob Arbeitsrecht, Mietrecht, Familienrecht oder SchKG-Verfahren, die Damen und Herren kennen sich aus. Einmal im Gerichtssaal, einmal im Sitzungszimmer, für Kläger und Beklagte ändert sich nicht viel. Richter S. hat im Gerichtssaal etwas mehr Auslauf als im Besprechungszimmer und so klappert er mit seinen eisenbesohlten Schuhen der geschätzten Grösse 45 über das Parkett, das seine Bühne ist. Die alten Lackschuhe haben sicher schon bessere Zeiten gesehen und erinnern an eine Figur aus der Welt der Familie Simpson. Die enge Röhrenhose endet weit über dem Knöchel und gibt den Blick auf die bunten Strümpfe frei. Die Jacke zur Hose ist ebenfalls etwas eng, soll aber den sportlichen Charakter des Richters unterstreichen. Sein eiserner Blick soll Respekt und Furcht einflössen. Die Schreiberin versteckt sich hinter dem Bildschirm ihres Computers. Man sieht sie nicht, man hört sie nicht. Und wenn sie einmal spricht, versteht man sie nicht. Die Bühne gehört dem Richter Dr. S.
Die
Akten, die er von der Kanzlei mitbringt, sind dick. Viele Kopien, die
alle das Gleiche sagen, denn beide Parteien sind aufgefordert, neben
den persönlichen Unterlagen auch die gemeinsamen Beweismittel
vorzulegen. Er wird die Akten wohl nicht studieren, aber seine erste
Frage an den Kläger soll ihn gleich klein machen. Sie haben wieder
geheiratet? Mit einer Dame, Jahrgang 1992?
Oh
Scheisse, spricht da der Neid aus seinen Augen oder hält er es
wirklich für ein Vergehen, eine Frau zu heiraten, die fast 30 Jahre
jünger ist? Oder verurteilt er die Frau, die nicht da ist, die er
nie gesehen hat, mit der er nie gesprochen hat, gleich als
Erbschleicherin, die es auf die Witwenrente der Schweiz abgesehen
hat!
Dass die Beklagte fast zur gleichen Zeit ebenfalls einen über 10 Jahre jüngeren Mann geheiratet hat, der nicht arbeitet und deshalb auf die Unterstützung seiner Frau angewiesen ist und somit auf Hilfe des Staates, interessiert den Richter nicht. Es wird ihn nicht interessieren, weil er diese Details nicht gesehen hat, denn sein Aktenstudium endet mit der Tatsache, dass eine Ausländerin einen über 30 Jahre älteren Schweizer heiratet, ihm ein Kind schenkt und wohl auf den Tod des Mannes wartet, um die reiche Schweiz auszuplündern. Das sieht der Richter, das verdirbt ihm kurz vor Feierabend die gute Laune. Er denkt wohl an seine Alte zu Hause und ist froh, dass er sich bis heute mit Geschenken vor der Scheidung retten konnte. Das letzte Geschenk, das Cabrio, kam ihm zwar etwas teuer, aber immer noch billiger als eine Scheidung. Und, junge Mädchen fickt man, ohne sie gleich zu heiraten und ohne ein Kind zu zeugen. Er kann sich die Bemerkung nicht verkneifen, das hätte ich mir besser überlegen sollen. Eine Zumutung, eine Anmassung, die ich über mich ergehen lasse. Der schlaue Fuchs ist nicht so schlau, wie er sich gibt, eher ein hinterlistiger Wolf. Leicht zu durchschauen, leicht hinter das Licht zu führen, leicht zu verunsichern, leicht zu beeinflussen. Ich nehme ihn mit meinen Gedanken auf. Ich zwinge ihn so zu handeln wie ich es will. Ich lenke sein Handeln und führe ihn dorthin, wo ich ihn als Vertreter des Gesetzes haben will. Mir persönlich kommt das teuer zu stehen, ich würde seine Ausführungen in einer anderen Verhandlung vernichten, ihn in die Schranken weisen und ihn an sein Amt erinnern. Aber er fühlt sich wohl in seiner überlegenen väterlichen Rolle und ich unterstütze ihn dabei. Der erste Teil seines Urteils ist schon gefallen, wie ich es mir wünsche, der zweite Teil wird noch kommen. Wie er nur meine Ex-Frau bemitleidet, wie schwer sie es mit einem wie mir hat und hatte... Dabei kennt er die wahre Geschichte unserer Familie genauso wenig wie seine Kollegen, die die Trennung herbeigeführt haben, die die Scheidung herbeigeführt haben. Die im Vergleich patzten und gegen die Empfehlung des Bundesgerichtes handelten.
Im heute geltenden Familienrecht geht es nicht mehr um ein gerechtes Urteil, da das Urteil bereits vor der eigentlichen Verhandlung vom Gesetzgeber festgelegt wird. So wie es bis in die späten 1970-er zu Gunsten des sich scheidenden Ehemannes war, so ist es heute zu Gunsten der sich scheidenden Ehefrau. Ich bin einverstanden, dass das damalige Gesetz geändert wurde. Der damals unterdrückte weibliche Partner wird nun vom Gesetzgeber geschützt. Dabei hat das Gesetz aber übersehen, dass der damals Starke plötzlich der Schwache ist und keine Rechte mehr hat, sondern nur noch Pflichten und der Dumme ist, auch wenn er in einem Fall nicht der Böse ist. Das geltende Recht sieht ebenso wenig Gleichberechtigung vor, wie das alte Recht sie vermissen liess. Nur die Pole haben sich umgekehrt. Das geht so weit, dass der männliche Teil der sich auflösenden Partnerschaft nicht einmal angehört wird. Mein Fall war, wie alle anderen auch, schon vor Beginn der Verhandlung klar und jedes Wort aus dem Mund des Mannes gilt als eine Minute Kaffeepause für das Gericht und anwesenden Anwälte und Dolmetscher weniger.
Dass
die Ehefrau seit fast 20 Jahren in der Schweiz lebt, aber einen
Dolmetscher braucht, stört nicht, dass sie das Sorgerecht für die
Kinder bekommt.
Dass
der Anwalt der Ehefrau nicht einmal unseren Dialekt beherrscht, wird
in der Anwaltsprüfung wohl nicht verlangt.
Dass
mein Anwalt, verkatert vom gestrigen Ausgang, nicht einmal ein klares
Wort herausbringt, hilft mir auch nicht weiter, aber das ist ja, wie
geschrieben, sowieso egal. Es schadet also nicht.
Die
Tatsache, dass der grösste Teil der Zeit des Richters für die
Honorarabrechnung der anwesenden Anwälte und des Dolmetschers
verwendet wird, erscheint mir zweitrangig, auch wenn in den
Scheidungsakten zwei Seiten dafür verwendet werden.