Klassentreffen

09.09.2025

Mein Vater litt an Alzheimer. Wir versuchten damals, ihn mit Fotos von früher in die Gegenwart zu holen. Vergebens. Schliesslich ist er an Einsamkeit gestorben.
Bei unserem Klassentreffen, 48 Jahre nach unserem Schulabgang, halfen uns die alten Klassenfotos und Fotos von Schulausflügen, Erinnerungen wachzurufen und Gedächtnislücken zu schliessen.
Wieso bin ich nicht auf diesem Foto, einige meiner damaligen Kollegen aber schon?
Warum kenne ich diese Person weder mit Namen noch mit Gesicht?
Und wer ist dieser kleine dicke Mann? Das war doch der damalige dünne Kollege von nebenan!
Und diese ältere Dame mit den immer noch schönen langen Haaren, war das nicht deine erste Liebe? Fragen über Fragen, die dank der Erinnerungen der Mitschüler und einem unermüdlichen Puzzlespiel beantwortet werden konnten.

Wir haben im Sommer 1977 die Schule abgeschlossen. Nach der sechsjährigen Primarschule kamen wir in ein neues Schulhaus und trafen dort auf Mitschüler aus anderen Schulhäusern. In der zweiten Sekundarschulklasse wurden die Klassen erneut gemischt und im dritten Jahr gab es zwei gemischte und eine reine Bubenklasse. Das hat bei mir für Verwirrung gesorgt. Auf einem Foto sind meine Kollegen zu sehen, ich aber nicht. Auf einem anderen Foto bin ich, aber nicht mein damals bester Freund.
Dieser hatte sich eigentlich auch für das Treffen angemeldet, doch er ist ein paar Wochen vorher unerwartet gestorben. Ich fühle mich leer. Ich hatte mich auf ein Wiedersehen nach so langer Zeit gefreut. Doch wir alle werden nur älter und sind dem Tod näher als der Geburt.

Unter den Teilnehmern des Klassentreffens gibt es einige, an die man sich ohne Probleme erinnern kann. Sie sehen noch genauso aus wie damals, nur etwas älter und mit grauen Haaren. Mit den Namen wird es dann schon schwieriger und es kommt zu ersten Verwechslungen. Dank Facebook hatte ich in den vergangenen Jahren Kontakt zu dem einen oder anderen Kameraden. Manchmal fragte ich mich jedoch, ob es wirklich er ist oder vielleicht jemand mit dem gleichen Vor- und Nachnamen. Denn sein aktuelles Bild gleicht gar nicht dem Bild aus meinen Erinnerungen. Aber doch, er ist es!

Um nach so vielen Jahren ein Klassentreffen organisieren zu können, braucht es einen Schüler, oder in unserem Fall eine Schülerin, die sich bereits früh darum kümmert, nach dem offiziellen Schulende beim zuständigen Rektor vorspricht und um eine Liste aller Schüler der Abschlussklassen 1976/1977 bittet. Da es damals noch keinen Datenschutz gab, war dies ohne Schwierigkeiten möglich. Die Liste musste aber gepflegt werden, denn bereits in den ersten Jahren gab es Wegzüge, es wurde geheiratet und gereist. Ohne Internet war es schwierig, die Liste immer auf dem neuesten Stand zu halten. So war es auch bei mir. Ich bin umgezogen und später ins Ausland weggezogen. Mein Vater, der damals einen Anruf meiner ehemaligen Schulkollegin entgegennahm, weigerte sich, meine aktuellen Kontaktdaten bekannt zu geben. Vielleicht war ich zu diesem Zeitpunkt frisch verheiratet und er wollte nicht, dass eine alte Liebe mich wiederfindet? Väter schützen ihre Kinder!

Nach Jahren habe ich dann aber den Kontakt gefunden und stehe seitdem wieder auf der Liste der Ehemaligen mit meinen aktuellen Daten. Leider war es mir in den vergangenen Jahren nur einmal möglich, an einem Treffen teilzunehmen. Daher habe ich mich ohne zu zögern für das diesjährige Treffen entschieden.

Es war schön, wieder einmal in meine alte Heimat Luzern zu reisen. Überrascht haben mich die vielen ausländischen Gäste. An allen Sehenswürdigkeiten waren Touristen, und die Preise in den Hotels und Restaurants waren entsprechend hoch. Den Apéro gab es auf der Terrasse des Hotels Metropol, das sich gleich gegenüber dem Bahnhof befindet. Von dort aus hatten wir eine herrliche Aussicht auf den See, den Bahnhofsplatz, die Altstadt und den Pilatus. Die Begrüssungen untereinander waren herzlich. Entsprechend hoch war der Gesprächspegel und es benötigte viel Zeit, um jeden Einzelnen zu begrüssen, sich vorzustellen und sich an ihn und sie zu erinnern. Interessant ist, dass man am Ende mit den Personen zusammen ist, die auch vor 48 Jahren zu den engsten Kollegen gehörten. Interessant ist auch, dass diese Kollegen, ohne es zu wissen, gleiche Hobbys wie Fotografieren und Stammbaumforschung pflegen. Überrascht hat mich auch, dass ich mit Mitschülern, die damals nicht zu meinem Freundeskreis gehörten, gute Gespräche führen konnte. Und dann gab es jene, mit denen man nur kurz die Hand schüttelt, mit denen man sich schon damals nicht verstand und die man erneut links stehen lässt.

Das Klassentreffen geht zu Ende, es bleibt der harte Kern. Wenn auch dieser sich auflöst, geht wieder jeder seinen Weg. Man freut sich auf die letzten Arbeitsjahre, organisiert seine Pension und freut sich auf den vorletzten Lebensabschnitt. Wir sehen uns hoffentlich bald wieder!