Kongo
Kongo – eine Geschichte
Ja,
der Kongo ist eine von vielen Geschichten. Eine Geschichte, die sich
nicht nur in Afrika, sondern auch in Asien, Südamerika und Osteuropa
wiederfindet. Der Kongo ist ein zusammengewürfeltes Land, das aus
mehreren kleineren Königreichen besteht. Im 19. Jahrhundert fiel es
zufällig in die Hände eines einzigen Mannes, der zufällig auch
König war, allerdings über ein Land, das 1000-mal kleiner als der
Kongo ist:
der König von Belgien. Er merkte schnell, dass er sich
mit seiner persönlichen Kolonie übernommen hatte, und schrieb sein
Gut kurzerhand auf den Staat Belgien um. So kam Belgien neben den
grossen Kolonialmächten Frankreich und England auch zu seiner
Kolonie im Herzen der Finsternis in Zentralafrika.
Ich selbst war noch nie in der Demokratischen Republik Kongo mit der Hauptstadt Kinshasa. Doch ich reiste 2008 und 2009 auf der rechten Seite des gleichnamigen Stroms durch die Republik Kongo-Brazza. Das erste Mal reiste ich mit meinem Sohn Martin von Kamerun über Gabun in den Kongo. Beim zweiten Mal reiste ich allein von Makoku in Gabun mit dem Buschtaxi, dem Lastwagen und dem Motorrad über Etoumbi bis nach Brazzaville. Sowohl Gabun als auch der Kongo Brazza gehörten zu den zentralafrikanischen Kolonien Frankreichs. Sie besitzen zwar nicht die Naturvorkommen wie Eisenerz, Gold und Diamanten wie die DR Kongo, doch die Geschichte seit dem 19. Jahrhundert unterscheidet sich im Buch von David Van Reybrouck kaum.
Der Vater von David Van Reybrouck arbeitete einige Jahre im Kongo und war zuständig für einen Teil der Eisenbahnlinie, die vom Kongo nach Angola führte. Als er das erste Mal in den Kongo reisen wollte und in den einschlägigen Buchhandlungen keinen Reiseführer und keine Bücher über die Geschichte des Landes fand, meinte er: "So muss ich wohl mein eigenes Buch über den Kongo schreiben." In mehreren Jahren harter Arbeit vor Ort, in Bibliotheken und in Gesprächen ist ein Taschenbuch mit knapp 700 Seiten entstanden, das im Suhrkamp Verlag auf Deutsch erschienen ist. Hinzu kommen Quellenhinweise und ein Register von weiteren 80 Seiten. Ein Buch, das uns die Geschichte des Kongo von Stanley bis ins Jahr 2010 erzählt. Mir als bescheidenem Kenner anderer zentralafrikanischer Länder kommen viele der Gegebenheiten bekannt vor. Die weltpolitischen Einflüsse ändern sich nur wenig, die Namen ändern sich, doch die wirtschaftlichen Hintergründe sind nicht offener gelegt als im Kamerun und in Gabun.
Wie
kam der belgische König Leopold II. zu seinem afrikanischen
Besitz?
Leopold II. interessierte sich schon früh
für den Kongo und einen eigenen Besitz in Afrika war sein grosser
Traum. In den 1850er Jahren war der Amerikaner Henry Morton Stanley
auf Entdeckungsreise in diesem Gebiet Zentralafrikas und erkannte
dessen wirtschaftliches Potenzial. Da sein Heimatland kein Interesse
an Kolonien zeigte und die Briten seine Pläne ablehnten, wandte er
sich an Leopold II. Dies kam dem belgischen König zu Ohren, der
daraufhin Stanlay umwarb. Stanlay konnte das Angebot, in den
kommenden fünf Jahren Ländereien im Kongo in Leopolds Namen
aufzukaufen und eine erste Infrastruktur entlang des Kongo
aufzubauen, nicht ablehnen. Von 1879 bis 1885 gelang es Stanlay, in
Leopolds Auftrag durch 450 Kaufverträge mit verschiedenen
Bantu-Häuptlingen entlang des Flusses weite Teile des Kongo
aufzukaufen. Die meist analphabetischen Häuptlinge konnten die
Tragweite ihrer Tat nicht absehen, da sie juristische Papiere in
einer ihnen unbekannten Sprache unterschrieben. Am 23. April 1885
erklärte Leopold II. die neu gegründete Association internationale
du Congo (AIC) zur Eigentümerin des Kongo und erliess eine
Verfassung für den Freistaat. Da Leopold der alleinige Eigentümer
der Gesellschaft war, wurde der Kongo somit zu seinem Privatbesitz.
Der Kongo als Kolonie unterschied sich nicht von den Kolonien der Franzosen und Engländer in der Nachbarschaft. Die Weissen herrschten, beuteten die Rohstoffe des Landes aus und liessen die Einheimischen hart arbeiten. Im Nachhinein muss man jedoch auch anerkennen, dass eine Infrastruktur aufgebaut wurde. Es entstanden Strassen und Eisenbahnlinien. Es gab einen Mehrjahresplan, wenn auch zur Plünderung. Es wurden schlecht bezahlte Arbeitsplätze geschaffen. Während die Ausländer unter der Hitze und den Tropenkrankheiten litten, waren die Einheimischen dem Joch der modernen Sklaverei ausgesetzt.
In den ersten Jahren wurde mit Kautschuk Geld gemacht. Seit Fahrzeuge mit luftgefüllten Reifen fuhren, war dieser im Kongo in riesigen Mengen vorkommende Rohstoff weltweit gefragt. Man trieb Landwirtschaft im grossen Stil und bald fand man Kupfer, Eisen, Gold und Diamanten in den Minen. Im Ersten Weltkrieg kämpften die ersten Schwarzen an der Seite der Belgier. Misstrauen und zunehmende Unruhen prägten die Jahre zwischen den Kriegen. Im Zweiten Weltkrieg befreiten sie im Namen Europas Ländereien im Osten Afrikas. Es folgte eine trügerische Stille, eine späte Entkolonialisierung und schliesslich eine plötzliche Unabhängigkeit. Die Erste Republik dauerte fünf turbulente Jahre. Während der Zweiten Republik herrschte der Diktator Mobutu. Zunächst krempelte er die Ärmel hoch, doch dann verfiel er dem Wahnsinn der Macht und der Angst vor Opposition und militärischen Konfrontationen. Nach seinem Sturz begann der grosse afrikanische Krieg mit den Nachbarstaaten Ruanda und Burundi. Ein riesiges Land verlor sich im Chaos, und erst mit Bier und Gebeten kehrte etwas Ruhe ein. Bis in die heutigen Tage bringt die junge Demokratie Hoffnung und Verzweiflung. Denn von Demokratie ist wenig zu spüren, und die Hoffnung, dass alles besser wird, stirbt mit der Verzweiflung des einfachen Volkes. Was die Weissen vor hundert Jahren konnten, können nun einige auserwählte Einheimische. Sie plündern nicht nur ihr eigenes Land, sondern auch internationale Hilfsorganisationen bis hin zur Weltbank. Auch um die Rohstoffe des Kongo kämpften und buhlten Amerika, Europa und Russland, bis die Chinesen kamen. Diese fragten nicht nach Menschenrechten, Gleichstellung der Frau oder Sterberate bei Kindern. Hier geht es um knüppelharte Verträge, von denen auch das jeweilige Land profitiert. Strassen wurden in abgelegene Dörfer gebaut. Die Eisenbahn wurde wieder aufgebaut. Es entstanden Krankenhäuser und Schulen. Moderne Flughäfen bieten internationale Flüge. Chinesische Waren helfen cleveren Menschen, ein rentables Geschäft aufzubauen. Das Land floriert, solange die Chinesen genug Rohstoffe erhalten.
Im Jahr 2009 flog ich über Addis Abeba nach Libreville, der Hauptstadt Gabuns. Von dort aus ging es mit einem Inlandflug weiter nach Makoku. Nach einer lauten und alkoholreichen Nacht ging es am kommenden Tag mit dem Buschtaxi weiter bis Mekambo. Die Abfahrtszeit war für 9 Uhr angesetzt. Als ich kurz vor der geplanten Abfahrt eintraf, lag Makoku noch im Schlaf. Die vergangene Nacht war lang gewesen. Irgendwo bekam ich einen Nescafé und wartete. Langsam kam Leben ins Dorf. Der Fahrer tauchte auf, verschwand dann aber wieder, um den Pick-up zu holen. Die ersten Mitreisenden fanden sich ein. Irgendwann um die Mittagszeit ging es endlich los. Die Reise dauerte nicht lange, dann hatte das Fahrzeug eine Panne. Ersatz wurde in Makoku angefordert. In der Zwischenzeit hielt ein Lastwagen und nahm einige von uns auf der Ladefläche mit. So kam ich irgendwann in Mekambo an. Das einzige Hotel bestand aus kahlen, aber kühlen Zimmern mit je einem Bett und einem Nachttisch. Die Zimmertüren konnten nicht verschlossen werden. Ich liess mein Gepäck gleich hinter der Tür stehen. Dann machte ich mich auf die Suche nach dem Buschtaxi für den nächsten Tag zur Grenze zum Kongo. Ich fand den Fahrer und das Fahrzeug, dessen Motor noch ausgebaut war. Ja, er fährt morgen bis zur Grenze. Wann? Wenn der Toyota läuft. Kommen Sie morgen so um 9 Uhr. Als ich ihn fragte, wie ich von der Grenze aus im Kongo weiterreisen könne, meinte er, dass es nach der Grenze keine Strassen mehr gäbe. Ich müsste ein Motorrad mit Fahrer mieten, der mich über Etoumbi bis Makoua fährt. Er würde sich um die Weiterfahrt kümmern.
Mein Zimmer war stickig und muffig, die Luftfeuchtigkeit war hoch, aber es war kühl, was in den Tropen sehr geschätzt wird. Mit dem Nachttisch habe ich die Tür verstellt. Aber niemand zeigte Interesse an mir. Nach mehreren Reisen durch Zentralafrika kannte ich ihre Pünktlichkeit. Uhrzeiten spielten hier keine Rolle. Es wurde losgefahren, wenn das Fahrzeug voll war. Als Europäer kommt man jedoch nicht zu spät. Um 9 Uhr stand ich vor dem Toyota, dessen Motor immer noch ausgebaut war. Ich unternahm einen Spaziergang durch das Dorf und trank Nescafé an der Strassenecke. Warten, bis endlich ein Motor aufheult. Der Toyota lief. Die Fahrgäste versammeln sich. Drei quetschen sich mit dem Fahrer in die Kabine, der Rest verteilt sich auf der Ladefläche hinter den Säcken und Taschen. Es kann losgehen! Auch diesmal kommen wir nicht weit. Irgendwo mitten im grünen Urwald geht es nicht weiter. Das Fahrzeug streikt, ein Teil der Lenkung ist defekt. Doch wir haben Glück, denn etwas abseits der Piste steht ein zweiter Toyota. Unser Fahrer kennt den Besitzer. Der ist im Busch auf der Jagd und wird erst in ein paar Tagen zurück sein. Kurzerhand wird beschlossen, das defekte Teil mit dem entsprechenden Teil des Toyotas des Jägers zu tauschen. Dies braucht natürlich seine Zeit, und wir Mitreisenden wanderten zu Fuss bis in die nächste Siedlung. Im Schatten der Palmen warteten wir auf den Fahrer, der später ins Dorf kam. Der Austausch der Teile dauert etwas länger, sodass die Weiterfahrt nicht vor morgen sein wird. Wir werden hier im Dorf übernachten. Als einziger Weisser wurde ich dem Dorfchef empfohlen, der mir Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung stellte. Er sprach auch etwas Französisch, aber mit einem Weissen zu diskutieren, lag nicht in seinem Interesse. Auf meine Fragen hin meinte er nur, dass hier der Maniok wild wachse. Bananen gäbe es im nahen Busch genügend. Die Frauen mussten einfach vor den Elefanten zur Ernte da sein. Wenn die Hausfrau Fleisch wünschte, ging er mit der Flinte in den Wald. Irgendwelches Tier würde schon seinen Weg kreuzen. Er war nicht aus der Ruhe zu bringen. Plötzlich entstand weiter unten im Dorf ein Lärm, mein Gastgeber sprang wie von einer Wespe gestochen auf und rannte den Hang hinunter zu den Palmen. Es gab ein Problem bei der Gewinnung von Palmwein. Und dieses Problem musste umgehend gelöst werden.
Zum Schlafen wurde mir das Zimmer der Tochter zugewiesen, die in Libreville studiert. Mit der Nacht kehrte auch Ruhe ins Dorf ein. Elektrisches Licht gab es nicht. Am kommenden Morgen wurde ich durch das Hupen unseres Fahrers geweckt. Das Ersatzteil war eingebaut, das Fahrzeug war beladen, wir stiegen ein und fuhren ohne weitere Probleme bis zur Grenze.
Mitten im Urwald fahren wir auf einen weitläufigen, gerodeten und sauberen Platz. In der Mitte steht ein Schlagbaum aus einem gefällten Baum. Der Fahrer zeigt mir die Hütte der Grenzwache. Er selbst umgeht den Schlagbaum und plaudert mit den Menschen im Kongo. Die Frau des Beamten nimmt mir den Pass ab. Ihr Mann sei krank, er habe Malaria. Sie verschwindet mit meinem Pass und kehrt nach ein paar Minuten zurück. Mit zitternder Hand ist meine Ausreise im Reisepass vermerkt. Aber das falsche Jahr! Wir schreiben das Jahr 2009! Die Frau versteht nicht, was ich meine, und verschwindet in der Hütte. Später torkelt ihr Mann, der Zollbeamte, aus dem Haus. Er ist wirklich krank. Mit zitternder Hand durchstreicht er die falsche Jahreszahl und schreibt die Zahlen, die ich ihm vorsage, in den Pass. Der Schlagbaum wird geöffnet – ich bin in der Republik Kongo-Brazzaville!
Im Schatten unter einem riesigen Baum wartete mein Fahrer mit seinem Motorrad. Wir schnallten meinen kleinen gelben Koffer auf den Gepäckträger und er hängte sich meinen Rucksack mit der Fotoausrüstung vor den Bauch. So fuhren wir in den Kongo hinein. Tatsächlich hörte die Strasse nach knapp hundert Metern beim ersten Bach auf und von nun an folgten wir nur noch Pfaden durch den Busch.
Auf einer Yamaha VT 115 sass ein junger Schwarzer am Lenker, hinter sich einen Weissen, der mit der Zeit eine bräunliche Farbe annahm, und auf dem Gepäckträger einen gelben Koffer. So fuhren wir durch den weiten Urlaub. Die im Busch lebenden Gorillas haben sich sicher halb tot gelacht, als sie uns aus ihren Verstecken beobachteten. Mein Fahrer fuhr vorsichtig und vorausschauend. Nur wenn wir in eine Siedlung kamen, gab er unnötig Gas, schrie in seiner Sprache, woher wir kamen und wohin wir fuhren. Er wollte Eindruck schinden. Unterwegs hielten wir an, erfrischten uns mit in Maniokblättern eingewickeltem Fisch, assen Thunfisch aus Dosen und tranken dazu Bier. Je näher wir Makoua kamen, desto teurer wurde das Bier. Bei Etoumbi nahmen wir die Fähre, um den Likouala-Fluss zu überqueren. Kurz vor unserem Ziel kamen wir im feuchten Gras ins Schleudern und stürzten. Dabei habe ich mir das linke Knie angeschlagen, das umgehend anschwoll. In Makoua nahm ich am nächsten Tag den 6x5 angetriebenen Bus bis in die Hauptstadt Brazzaville. Als ich mich nach einer Woche voller Abenteuer im Hotelspiegel sah, erschrak ich über mich selbst. Ich hatte Schrammen über das ganze Gesicht von den hohen Gräsern am Strassenrand. Schmutz an Kleidung und Gesicht. Wochenbart. Ich benötigte erst einmal ein warmes Bad und gab alle meine Kleider in die Reinigung.
Nach 15 Jahren auf dieser Reise erfahre ich von Dritten, dass die Chinesen inzwischen auch hier Strassen und Brücken gebaut haben. Nicht nur in der DR Kongo, sondern auch am linken Ufer des Kongo, in Gabun und im Kamerun sind die Chinesen eifrig am Bauen. Da wird nicht lange um den heissen Brei geredet, sondern den Worten folgen Taten.
Der Kongo ist ein Ort, an den ich gerne zurückkehren würde, doch ich weiss, dass es den Kongo von 2009 nicht mehr gibt. Daher ist es wohl besser, den Kongo in meinen Erinnerungen weiterleben zu lassen.
