Korfu
Es ist Sommer, es ist warm, das Wasser ist frisch und die Bomben fliegen über 1.000 Kilometer bis zu ihrem Ziel. Von Teheran, der Nachfolgerin von Rey und seit der Kadscharenzeit Haupt- und Residenzstadt des Iran, benötigte eine Karawane einige Wochen bis nach Jerusalem. Die Reise musste Tage im Voraus vorbereitet werden. Die Karawane, die aus Dromedaren bestand, wurde von Soldaten bewacht. Zu Pferde ritten Spione immer ein paar Tage vor der Karawane. Sie klärten, ob die Brunnen auf dem Weg Wasser führten und ob räuberische Banden den Weg unsicher machten. So zogen die Kaufleute durch den heutigen Iran und Irak sowie durch die Arabische Halbinsel nach Jerusalem. Heute benötigen Bomben und Militärflugzeuge für die gleiche Strecke lediglich ein paar Stunden. Sie benötigen unterwegs keine Wasserquellen, doch auch sie haben den Tod als ständigen Begleiter.
Um der Hitze und den negativen Nachrichten aus dem Nahen Osten zu entfliehen, reise ich nach Korfu. Leider nicht mit dem Flugzeug, sondern nur in meiner Fantasie. Ich lese "Schwarze Oliven" von Lawrence Durrell. Sein Tagebuch über Korfu, die Insel der Phäaken. Von Anfang Mai 1937 bis August 1938 weilte er mit Freunden auf der Insel und hielt die Geschehnisse in seinem Tagebuch fest. Korfu ist die erste Insel, die man erreicht, wenn man mit der Fähre von Italien aus kommt. Sie liegt in einer Bucht vor den Kulissen der Berge Albaniens. Korfu ist vielleicht die Heimat des Ulysses, auf jeden Fall aber die Heimat der österreichischen Kaiserin Elisabeth, genannt Sisi. Im Laufe der Geschichte hat Korfu einige bemerkenswerte Persönlichkeiten hervorgebracht. Dazu zählen die Komponisten Spyridon Xyndas und Napoleon Lambelet sowie die Mitglieder der königlichen Familie Prinz Georg von Griechenland, Prinzessin Sophie von Griechenland und Prinz Philip, Herzog von Edinburgh. Alle Genannten sind auf Korfu geboren worden. Wie diese kurze Auswahl von Namen zeigt, gehörte Korfu einst zum Britischen Reich.
Lawrence Durrell war ein britischer Schriftsteller, der 1912 in British Indien geboren wurde und im Alter von 78 Jahren in Frankreich starb. Ende der 1930er Jahre, kurz vor Kriegsbeginn, weilte er knapp zwei Jahre auf Korfu. Im Januar 1935 heiratete er Nancy. Nach Aufenthalten in Paris und Athen zog er mit seiner Frau, seiner Mutter und seinen Geschwistern nach Korfu. 1941 musste die Familie Korfu verlassen, da sich die deutsche Armee Griechenland näherte. Sie zogen nach Kairo und später nach Alexandria. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die Reise weiter nach Rhodos, später nach Argentinien und schließlich nach Belgrad. Meistens arbeitete er als Presseattaché für die britische Regierung. Im Jahr 1952 war Zypern dann sein Ziel. Neben seiner Arbeit für die Regierung erteilte er Englischunterricht und schrieb den 1957 erschienenen Roman "Bittere Limonen", in dem er seine Erlebnisse aus der Zeit des gewalttätigen Aufstandes der Zyprioten gegen die englische Besatzungsmacht schildert. Als er Zypern 1956 verlassen musste, ließ er sich in Südfrankreich nieder und lebte dort bis zu seinem Tod im Jahr 1990.
Mit seinem Roman zollt er der Welt des östlichen Mittelmeeres eine Liebeserklärung. Er zeichnet ein Bild in den kräftigsten und zartesten Farben von Wäldern und Olivenhainen, von den Buchten der Phäakeninsel, vom Alltag und der Geschichte ihrer Bewohner. In den Sommermonaten ist dies sicher eine interessante Lektüre, vor allem, wenn sich der Leser irgendwo am Ufer des Mittelmeeres aufhält. An vielen Orten ist es leicht, sich 80 Jahre zurückzuversetzen, denn die Landschaft und die Einwohner scheinen sich nicht verändert zu haben. Erst wenn man in die Ortschaften kommt, wird man von der heutigen Zeit wieder eingeholt.
Da wir derzeit vor allem mit Nachrichten aus dem jüdischen Staat Israel konfrontiert werden, hier ein Ausschnitt aus dem Taschenbuch rororo 11102, Seite 81:
"Als
Benjamin von Tudela die Insel 1160 besuchte, traf er dort nur einen
Juden – einen Färber.
1571 vertrieb Venedig die Juden aus
seinen Dominien; die Juden von Korfu blieben aber mit ein wenig Glück
ungestört. Im Jahre 1760 bildeten sie eine Kolonie von 1171
Personen; als die ersten französischen Kriegsschiffe ankamen und die
Insel für Frankreich beanspruchten, wurden bei der Volkszählung
ungefähr 2000 gezählt. Um 1860 hatte die Kolonie nach britischen
Schätzungen an die 6000 Seelen.
Aber welchen Ursprungs ist die
Zeremonie des Judasaustreibens? Jedes Jahr wird der ahnungslose
Besucher am Karfreitag um elf Uhr plötzlich durch einen Heidenlärm
mit Kochgeschirr, Töpfen, Pfannen und Kesseln fast aus seiner Haut
geschreckt, während die Luft von Pistolenschüssen dröhnt. Man
vermutet, mit dieser Zeremonie werde Judas ausgetrieben. Der Lärm
und das Geschrei dauern (mit Erholungspausen dazwischen) den ganzen
Tag über an."
