Kreuzzug I
Erster
Kreuzzug
Der
Erfolg des Ersten Kreuzzugs versetzte die lateinische Christenheit in
einen Zustand des gläubigen Staunens. Für die grosse Mehrheit der
Menschen war das Überleben der langen Reise und die Triumphe in
Antiochia und Jerusalem nur durch einen direkten Eingriff Gottes
möglich. Dieser Sieg beflügelte diese neue Form frommer
Kriegsführung in den kommenden Jahrhunderten.
Ein
historisches Interesse an den Kreuzzügen fehlt hingegen. Die
muslimische Welt scheint sie nicht einmal als kleines Beben
wahrgenommen zu haben. Vielleicht wollten die islamischen Herrscher
der damaligen Zeit, dass die Chronisten ihre Niederlagen nicht
ausführlich berichten und die Gelehrten sich nicht dafür
interessieren. Es gab keine klaren Forderungen nach Rache und
Vergeltung. Erst später wurde über den Nutzen des Dschihads
diskutiert und eine kollektive Antwort der islamischen Herrscher
gefordert. Doch die muslimische Welt war gespalten und hatte andere
Probleme, als sich gegen diese blutrünstigen Eindringlinge aus dem
fernen Europa aufzureiben.
Nach der Predigt von Papst Urban II. in Clermont machten sich die ersten Ritter auf den Weg, um ihr sündhaftes Leben durch einen Heiligen Krieg zu reinigen. Ein Ritter ritt damals nicht allein in eine fremde Welt. Er wurde von mindestens fünf Dienern begleitet, die sich um das Wohl des Fürsten und seiner Ausrüstung inklusive Pferd kümmerten. Weitere wichtige Männer seiner Grafschaft begleiteten ihn ebenfalls zu Pferd, und alle damaligen Herrscher brachten eine gewisse Anzahl an Fusssoldaten mit. Der gesamte Tross wurde zudem von Knechten, Frauen und Kindern begleitet. So zogen die kleineren und mittelgrossen Trupps über den Balkan bis nach Konstantinopel vor den Sitz des byzantinischen Kaisers Alexios I. und der orthodoxen Kirche. Der Kaiser hatte zu gegebener Zeit den lateinischen Papst um Hilfe gebeten. Er selbst war überrascht, dass sein Gesuch so grosse Anhängerschaft gefunden hatte. Er versuchte, diese unverhoffte militärische Stärke zu seinen Gunsten auszunutzen. Da nicht alle lateinischen Fürsten zur gleichen Zeit vor den Toren Konstantinopels erschienen, konnte der Kaiser individuell mit ihnen verhandeln. Er war bestrebt, die Truppen möglichst bald auf die andere Seite des Bosporus zu bringen, bis vor die Tore von Nicäa, einer seldschukischen Stadt nahe der Grenze. So fanden sich in den ersten Monaten des Jahres 1097 über 75.000 Menschen ein, darunter rund 7.500 schwer bewaffnete Ritter zu Pferd. Dieser muslimische Stützpunkt bedrohte die byzantinische Hauptstadt. Die Anstrengungen der Griechen blieben anfangs erfolglos. Doch mit der Hilfe der Lateiner konnte die Stadt eingenommen werden und fiel in die Hände von Alexios I. Die Einnahme von Nicäa war der Höhepunkt der griechisch-fränkischen Zusammenarbeit. Die Lateiner wurden fürstlich belohnt und auf ihrer weiteren Reise durch Kleinasien von griechischen Truppen begleitet, geschützt und über die Art der Kriegsführung ihrer Gegner informiert.
Trotz aller Vorkehrungen war der Weg durch türkisches Gebiet kein Spaziergang. Überall und jederzeit musste mit Angriffen gerechnet werden. Obwohl die Griechen gewarnt hatten, überraschten die Türken die Lateiner mit ihrem wie Wölfe klingenden Geheul und dem Pfeilregen, mit dem sie die Eindringlinge überzogen. Die Türken wunderten sich über die Kampfmoral und die soliden Rüstungen der christlichen Ritter. Die wichtigsten Schlachten, wie die bei Doryläum, wurden von den Lateinern gewonnen, sodass sie weiter Richtung Antiochia marschieren konnten. Während dieser drei Monate zeigten sich neue Feinde: Durst, Hunger und Krankheiten. Ein grosser Teil der Menschen sowie Pferde und Packtiere starben auf dem Weg nach Syrien. Die Eroberung Antiochias gehörte zu den wichtigsten Zielen des Bündnisses zwischen den Kreuzfahrern und dem byzantinischen Kaiser. Antiochia, das 300 Jahre vor Christus von Generälen Alexanders des Grossen gegründet wurde, war ein wichtiges Handelszentrum und lag ideal auf dem Weg ans Mittelmeer. Ausser dem Plan, die Stadt einzunehmen, hatte sie für die Christen eine ähnlich tiefe Bedeutung wie Jerusalem. Petrus, der Apostel, soll hier die erste Kirche gegründet haben, und es gab zu dieser Zeit eine dem Heiligen geweihte Basilika. Die Befreiung der Stadt aus der Herrschaft der Seldschuken stand somit im Einklang mit der Idee des Kreuzzugs. Obwohl sich das muslimische Syrien in einem chaotischen Zustand befand, flössten die starken Stadtmauern und das Verteidigungssystem den Kreuzfahrern Respekt ein.
Es stand ein längerer Zermürbungskrieg bevor. Durch Blockaden versuchte man, die Stadt zu belagern. Doch der Umfang war für die Lateiner zu gross und sie konnten nur einige Zugänge zur Stadt kontrollieren. Ein Erfolg war nicht in Aussicht. Die Kirche sah den Misserfolg in der Sünde. Um diesen Makel zu sühnen, wurden Fasten, Beten, Almosengeben und Prozessionen angeordnet. Erst durch einen Verrat konnte die Stadt schliesslich erobert werden. Der Siegesjubel dauerte jedoch nicht lange. Heranströmende muslimische Truppen schlossen die Kreuzritter in der frisch eroberten Stadt ein, sodass die Belagerer zu Belagerten wurden. Sie waren von allen Seiten eingeschlossen. Die Wege in die Stadt waren versperrt und der Hunger wurde immer grösser. Furcht und Hunger lähmten die Moral und es gab kaum noch Überlebenschancen. Doch dann wurde bei Ausgrabungen in der Basilika St. Petrus ein Teil der Lanze gefunden, mit der Jesus am Kreuz in die Brust gestochen wurde. Das Auftauchen dieser Reliquie galt als Zeichen dafür, dass Gott den Kreuzzug unterstützte. Die Christen waren plötzlich belebt und erneuert. Heute erscheint die Entdeckung eines Überbleibsels aus dem Leben Jesu absurd und vielleicht bewusst irreführend. Für die Menschen im 11. Jahrhundert waren dies jedoch Selbstverständlichkeiten, die zu ihrem wohlgeordneten Glaubenssystem passten. Geschwächt, aber in geordneter Formation gelang es den Christen, das muslimische Heer zu vertreiben. Gegen alle Erwartungen hatte das Christentum triumphiert. Die Hand Gottes war am Werk, es wurde von vielen Wundern berichtet. Die Frömmigkeit spielte zusammen mit der Einheit und der Disziplin eine grosse Rolle. Doch lähmte der darauffolgende Streit unter den Fürsten und Grafen das gesamte Unternehmen und blockierte den Marsch nach Jerusalem über Monate hinweg. Auch die Beziehungen zu Byzanz waren nicht mehr wie zu Beginn.
Auf
der letzten Etappe liessen sich die Kreuzfahrer nun nicht mehr auf
die Eroberung von Orten ein, sondern marschierten mit nur einem Ziel,
Jerusalem, durch den Libanon und Palästina.
Nach
der Niederlage der Türken in Antiochia hatten die sunnitischen
Seldschuken davon profitiert und die Stadt Jerusalem eingenommen. Die
Kreuzfahrer versuchten, die Ägypter auf diplomatischem Weg dazu zu
bewegen, doch diese wollten nicht nur ein paar Rechte über die
Heilige Stadt, sondern die gesamte Kontrolle. Es kam zu einem
Wettlauf mit der Zeit. Die Kreuzfahrer wollten die letzten 300
Kilometer so schnell wie möglich zurücklegen, um den Sunniten keine
Möglichkeit zu geben, sich zur Verteidigung der Stadt zu
organisieren oder gar Verstärkung aus Ägypten anzufordern.
Nach rund 3.000 Kilometern und fast drei Jahren erreichten die Kreuzritter Jerusalem. Diese alte Stadt, das Herz der Christenheit, ist von Religion geprägt. Was Jesus hier gelitten hatte. Innerhalb ihrer Mauern befand sich das Heilige Grab in einer Kirche aus dem 4. Jahrhundert. Die Kreuzigung, die Erlösung und die Auferstehung sind der Kern des Christentums und mussten wieder unter christliche Kontrolle gebracht werden. Dadurch würde aus der irdischen Stadt Jerusalem die himmlische Stadt, das Paradies auf Erden werden.
Doch
im Laufe der Zeit verschmolz Jerusalem auch mit zwei weiteren
Religionen und wurde für beide sehr bedeutsam. Der Tempelberg mit
dem Felsendom und der Klagemauer ist für die Juden von grosser
Bedeutung, so die Al-Aqsa-Moschee für die Muslime. Es verhielt sich
im Mittelalter nicht anders als heute. Aufgrund seiner
unübertrefflichen Heiligkeit ist Jerusalem bis heute der Brennpunkt
religiöser und weltlicher Konflikte. Da die Stadt für jede der drei
Religionen von entscheidender Bedeutung ist und jede Glaubensrichtung
überzeugt ist, nicht verhandelbare und historische Rechte auf den
heiligen Ort zu haben, wird sie zum Kriegsschauplatz.
Die
tiefe Frömmigkeit und die Überzeugung, Gottes Werk auszuführen,
halfen den Christen schliesslich zum Sieg. Nach einem Tag des
grauenhaften Plünderns und Abschlachtens von Juden und Muslimen
versammelten sich die Franken, um ihrem Gott zu danken. Ein auf den
ersten Blick paradox anmutendes Bild: die Mischung von blinder Gewalt
und tiefem Glauben.
Die Geschichte, die wir heute in Palästina schreiben, hat ihren Ursprung nicht in den Kreuzzügen. Da drei Religionen Jerusalem als wichtigen Teil ihres Glaubens betrachten, kommt es zwangsläufig zu Reibereien. Jede Religion glaubt, den wahren Glauben zu vertreten, und ist der Meinung, im Recht zu sein. Der jeweilige Gott hilft zum Erfolg, und sollte es einmal schiefgehen, so ist es die Strafe desselben Gottes, der seine Gläubigen daran erinnert, wer ein nicht gläubiges Leben lebt. Solange die Menschheit nicht begreift, dass alle Menschen vor Gott gleich sind und das Recht haben, auf ihre Art und Weise Gott zu dienen, wird es im Namen Gottes immer Krieg geben. Die Mächtigen nutzen die Situation aus und schüren die Glut zum Feuer, um von den eigenen Missständen abzulenken. Gott hat auf verschiedene Arten und Weisen versucht, die Welt zu retten, doch die Menschen wollen weder hören noch fühlen. Wir sind verloren.
