Lille
Wenn man die Landkarte ansieht, glaubt man, Belgien wollte die Stadt Lille nicht auf seinem Staatsgebiet, denn die Landesgrenze mit Frankreich zieht einen grossen Bogen um die Stadt. Wir fahren vom ländlichen Frankreich Richtung Gent und das Navi führt uns Richtung Lille. Je näher wir uns der Stadt nähern, desto intensiver wird der Verkehr, desto mehr Strassenkreuzungen kommen auf uns zu und die Umfahrungsstrassen werden mehrspurig. Erst wenn der Besucher diese verkehrsintensiven Asphaltringe durchbrochen hat, wird es ruhiger und übersichtlicher.
Lille und seine Umgebung gehörten zu der historischen Region Französisch-Flandern, dem ehemaligen Territorium der Grafschaft Flandern, das sich ausserhalb des westflämischen Sprachraums befand. Vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution erlebte Lille als Garnisonsstadt eine wechselvolle Geschichte. Bekannt als die meistbelagertste Stadt Frankreichs gehörte sie nacheinander zur Grafschaft Flandern, zum Königreich Frankreich, zu Burgund, zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen und zu den Spanischen Niederlanden, bevor sie am Ende des spanischen Erbfolgekrieges wieder an Frankreich fiel. Sie wurde 1792 während des ersten Koalitionskrieges zwischen Frankreich und Österreich erneut belagert und während der Besatzungszeit in den beiden Weltkriegen des zwanzigsten Jahrhunderts jeweils schwer bombardiert. Seit ihrer Entstehung war Lille eine Handelsstadt und vom 16. Jahrhundert an auch gewerbetreibend. Die Industrielle Revolution formte aus ihr eine wichtige Industriestadt, bei der sich vor allem die Textil- und Maschinenbauindustrie ansiedelten. Der industrielle Niedergang in den 1960er Jahren zog eine lange Krisenzeit nach sich. Erst die Umstellung der Wirtschaft auf Dienstleistungen und die Sanierung heruntergekommener Stadtviertel in den 1990er Jahren führten zu einem bedeutenden Wandel des Stadtbildes. Wichtige Stationen auf ihrem Weg zur Neugestaltung markieren der Bau neuer Geschäftsviertel, der Anschluss an die Bahnlinien des TGV und des Eurostars, die Entwicklung zu einem Universitätsstandort mit knapp 100.000 Studenten sowie die Einstufung als Stadt der Kunst und Geschichte.
Vom modernen Euro-Bahnhof gelangt der Besucher über die Brücke bis zum historischen Bahnhof Lille-Flanders am Europaplatz. Das Völkergemisch ist riesig, Kopftuch tragende Frauen überragen. Einmal den modernen Eurolille Platz hinter sich gelassen kommt der Besucher in die autofreie Altstadt mit herrlichen Plätzen und Herrschaftshäusern. Die malerische Stadt Lille wird oft als verkannte Schönheit bezeichnet, denn der hohe Norden Frankreichs wird vom internationalen Tourismus etwas stiefmütterlich behandelt. Nicht einmal EasyJet fliegt die Stadt an, welche touristisch sicher mehr zu bieten hat als so mancher anderer Zielflughafen. Lille ist eine wahre Schatzkammer an architektonischen Bauwerken. Durch die Ernennung zur Kulturhauptstadt im Jahre 2004 wurde die Altstadt liebevoll restauriert und das Flanieren durch die hübschen Gassen, die von reich geschmückten Fassaden aus dem 17. Jahrhundert gesäumt werden, wird zur kulturellen und gastronomischen Entdeckungstour.
Lilles berühmter Grand Place, auch unter Place du Général de Gaulle bekannt, gilt als Zentrum der Altstadt. Der schmucke Platz mit seinen Cafés gilt als das architektonische Aushängeschild u.a. Mit der barocken Alten Börse, dem damals teuersten Bau der Stadt, der Oper, der Handelskammer mit ihrem alles überragenden Turm, das Théâtre du Nord und der historischen Patisserie Meert, wo sich auch Charles de Gaulle in deren Süssigkeiten verliebte. Einen Häuserblock entfernt befindet sich mit dem Palais Rihour eines der letzten Beispiele flämischer Gotik. Das Gebäude wurde im Jahr 1453 begonnen und dessen Bau dauerte 20 Jahre.
In
der Nähe des Porte de Paris liegt das Rathaus
von Lille,
das mit seinem hoch aufragenden Belfried schon von weitem sichtbar
ist. Der markante Turm erreicht eine Höhe von 105 Metern und wurde
von der UNESCO
zum Weltkulturerbe ernannt. Das
Palais
des Beaux Arts am
eindrucksvollen Place
de la République ist
mit einer Ausstellungsfläche von 22.000m² nach dem Louvre
in
Paris
das
bedeutendste Kunstmuseum Frankreichs.
Der
stattliche Bau stammt aus dem 19. Jahrhundert und beherbergt neben
Malereien, Skulpturen und Keramiken von
Künstlern wie Rubens, Donatello oder Van Dyck auch
einen Raum mit detailgetreuer Reliefkarten der Stadt und umliegenden
Orte aus der Zeit des Sonnenkönigs.
Beim
verlassen der Altstadt treffe ich auf ein Bistro so wie ich sie von
früher kenne und liebe. Das Lokal ist voll, doch der nette und
hilfsbereite Kellner findet auch einen Platz für mich. Das
Mittagsmenü bietet einen Kartoffelauflauf, als Hauptteller
Rindfleisch mit Gemüse und Pommes und dazu eine Karaffe ländlichen
Rotwein. Wir lassen es uns schmecken.