Marseille

29.06.2023

Die Legende besagt, Marseille sei 600 vor Christus von der Liebe gegründet worden, als die Ligurin Gyptis und der Grieche Protis hier heirateten. Von Liebe ist heute nicht mehr viel zu spüren. Der Alte Hafen ist voller kleinerer Jachten, dazwischen ein paar Fischerboote und auch die Fischverkäufer am Anfang des Beckens können an einer Hand abgezählt werden. Um das Hafenbecken liegen auf die alten Gebäude, welche von der reichen Vergangenheit erzählen. Heute sind sie teilweise und dank der gewollten Zerstörung während dem Zweiten Weltkrieg modernen Wohnblocks gewichen oder die alten Lager- und Kaufmannshäuser wurden in Appartements und Hotels umgebaut und in den Geschäftslokalen herrschen die Restaurants vor. Geblieben ist an der Hafenausfahrt die Festung Saint Jean.

Marseille empfängt mich am Bahnhof St. Charles. Die Reinigungskräfte streiken, der Bahnhof ist ein riesiger Abfallhaufen. Schnell verlasse ich das Gebäude und stehe vor der steilen Treppe ein Blick in die Tiefe und ich steige die Treppe abwärts, wie wenn ich ins Innere einer riesigen offenen Höhle steigen würde. Marseille nimmt mich auf. Rund um mich höre ich französisch und als Zweitsprache die verschiedenen Dialekte der arabischen Staaten des Maghrebs. Schattenspendende Baumalleen begleiten mich bis zum Porte Vieux. Wohnhäuser aus vergangenen Jahrhunderten. Teilweise sind sie dem Zerfall geweiht, wo einst Hotels der Luxusklasse sind nun internationale Modeshops etabliert. Im 19. Jahrhundert wurde Marseille zum bedeutendsten Hafen Frankreichs, wenn nicht Mitteleuropas. Von hier liefen die Schiffe aus zu den französischen Kolonien in Afrika und Asien. Mit der Industrialisierung und der Eröffnung des Suezkanal im Jahre 1869 verstärkte sich seine Wichtigkeit noch mehr.

Wer als Forscher, als Handelsreisender, als Soldat oder als Auswanderer das alte Europa verliess, tat dies über Marseille, welches mit der Eisenbahn über Paris einfach zu erreichen war. 
Für Taglöhner aus Algerien, Militär zum Heimaturlaub, Abenteurer mit tropischen Krankheiten, später Schriftsteller nach der Suche nach dem Orient und während den Weltkriegen vertriebene Politiker war die Bucht Golfe de Lion von Marseille das erste Zeichen der alten Welt, hier endete bei der Abreise Europa, hier wurden sie von Europa wieder begrüsst und in Empfang genommen.
Der Hafen von Marseille erlebte viel und machte viel durch. So wütete die Pest trotz grossen Vorsichtsmassnahmen in der Stadt, die Altstadt wurde von der deutschen Besatzung als Widerstandsnest teilweise vernichtet und die Einwohner vertrieben.
Hier wurden die Waren aus den Kolonien gelöscht, Matrosen genossen den Landurlaub in einschlägigen Kneippen. Erfolgreiche Rückkehrer liessen sich feiern, Versager verdrückten sich zwischen den engen Gassen. Es herrschte ein reges Treiben, welches heute durch die Touristen aus aller Welt ersetzt wird.

Nach der Unabhängigkeit Algeriens 1962 liessen sich zehntausende Algerienfranzose (pieds-noirs), die den Maghreb verlassen mussten, in Marseille nieder. Für sie wurden Wohnsiedlungen im Norden der Stadt errichtet. Während den 1970er Jahren kam es zu erheblichen Problemen mit dem zeitgleichen Niedergang der traditionellen Industrien, durch unkontrollierte Einwanderung, zunehmende Kriminalität, Verschmutzung und wachsenden Verkehr. 1973 kam es zu einer Welle von rassistischen Ausschreitungen gegen algerische Einwanderer, bei denen bis zu 100 Menschen getötet wurden.

Die Kathedrale von Marseille (Cathédrale Sainte-Marie-Majeure de Marseille, im Volksmund Cathédrale de la Major) ist die Bischofskirche der römisch-katholischen Erzdiözese. Das ab 1852 erbaute monumentale neoromanisch-byzantinische Gotteshaus steht am Westrand der Altstadt. Typische neobyzantinische Merkmale sind die Rundbogen und die beiden sich Minarett ähnlichen Türme im hinteren Teil der Kirche. Der neobyzantinische Baustil vereint Elemente klassischer byzantinischer Bauwerke mit nationalen Elementen. Zu seinen Merkmalen gehören Kuppeln, Rundbogen sowie bei sakraler Architektur des Typus der Kreuzkuppelkirche mit Griechischem Kreuz. Im Gesamteindruck dominieren sphärische und kubische Gewölbe wie Kuppeln und Halbkuppeln, daneben sind Elemente dekorativer Plastik an Pendentifs, Arkaden, Säulen, Kapitellen, Bögen, Portalen, Nischen und Lisenen mit einfachen Ornamenten massgebend. Das Äussere der Bauwerke gliedert sich meistens durch Sockel, Korpus und Nischen von Arkaden sowie dekorativen Portalen, Zierleisten und weiteren Details aus der typischen byzantinischen Kunst. Durch die damalige Prachtstrasse, dem heutigen Shoppingzentrum der Stadt verlasse ich den Vieux Port und schlendere zurück zum Capucin Viertel. La Canabière ist nicht mehr so glamourös wie in den guten alten Zeiten, doch verstecken sich hinter den Fassaden der Luxusmarken und Restaurants noch einige interessante Ecken.