Neapel
Zehn Jahre ist es her, dass ich das letzte Mal in Neapel war. Damals kamen wir mit dem Ferrari-Zug von Rom, wurden am Bahnhof abgeholt und zu unserem Hotel in Sorrent gebracht. Heute sind wir wieder mit dem Zug nach Neapel gefahren, aber diesmal von Pompeji aus mit einem Vorortzug, der mehr rüttelt und schüttelt als mit einer gemütlichen Zugfahrt. Auch Neapel hat sich in den letzten Jahren positiv verändert. Der Bahnhofsvorplatz ist heute modern und autofrei. Auf der anderen Seite zweigen die verschiedenen Strassen ab, rechts hinauf in die Altstadt, in der Mitte die Hauptstrasse Umberto I und links hinunter zum Hafen. Wir wählen zunächst die goldene Mitte, um später durch die Altstadt zurück zum Bahnhof zu gelangen.
Schon für die französische Schriftstellerin Simone de Bouvoir war Neapel kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ein Rätsel. Von ihrer Schwester, die kurz zuvor in Neapel gewesen war, hatte Simone de Bouvoir gehört, dass Neapel nicht schön, sondern schmutzig sei, und es reifte die Erkenntnis, dass Schmutz und verfallene Häuser allein nicht ausreichen, um eine Stadt zu mögen. De Bouvoir kommt zu dem Schluss, dass es an den Menschen liegen muss, wenn man eine Stadt trotz ihrer Mängel mag. Sie schreibt unter anderem: Wir wussten nicht, dass das Essen immer dort besonders aufdringlich zur Schau gestellt wird, wo die Menschen Hunger leiden. Simone de Bouvoir und ihr Lebensgefährte Jean Paul Sartre versöhnen sich auf ihre Weise mit Neapel: Wenn wir die Unbarmherzigkeit dieser Stadt ignorierten, fanden wir in Neapel manche liebenswerte Seite.
Und doch bleibt den beiden ein zwiespältiges Bild der Stadt: Überall und jederzeit trug uns der Wind den trostlosen Staub der Docks oder feuchte, zweifelhafte Gerüche zu. Als wir den Posilipo erklommen, konnte uns das ferne, trügerische Weiss Neapels nicht täuschen.
Die Altstadt von Neapel ist immer etwas Besonderes und bei diesem Besuch fand ich sie auch weniger gefährlich, als ich sie in Erinnerung hatte. Ehrlich gesagt finde ich sie überhaupt nicht gefährlich und die vielen Gassen und Plätze bieten mir als Fotograf so viele Motive, dass ich fast vergesse, eine echte Pizza Napoletana zu essen. Dazu natürlich ein kräftiger Vino Rosso und Maradona. Die bis heute anhaltende Besessenheit der Neapolitaner mit der argentinischen Fussballlegende ist charakteristisch. Sein Gesicht an jeder zweiten Wand, Trikots, Schreine, Krippenfiguren und Lieder. Seine Ankunft beim SSC Neapel, seine Leistungen, sein Einfluss auf die Stadt bilden ein bleibendes Erbe. Diego Maradona war in Neapel mehr als ein grosser Sportler.