Nicolas Bouvier

15.12.2025

Nicolas Bouvier gehört neben seinem Vorbild Ella Maillart und Annemarie Schwarzenbach zu den wichtigen Schweizer Reiseschriftsteller des 20. Jahrhunderts. Eines seiner Bücher, Die Erfahrung der Welt, erschienen im Leons Pocket 2004 (Lenos Verlag, Spalentorweg 12, 4051 Basel, 061 261 3414, lenos@lenos.ch, Originalausgabe L'Usage du monde, 1963, sollte jeder Reisende gelesen haben, ob es ihn nun durch die Balkanstaaten, die Türkei und Persien bis nach Japan führt oder er sich einen anderen Kontinent als Reiseziel vorgenommen hat.

Die Erfahrung der Welt ist der aussergewöhnliche, poetische Reisebericht über seine erste grosse Reise, die er mit dem Maler Thierry Vernet unternahm.
In den Jahren 1953/54 fuhren die beiden Freunde in einem Fiat Topolino von Genf über Jugoslawien, die Türkei, Iran und Pakistan nach Afghanistan.

Nicolas Bouvier
geboren 6. März 1929 in Lancy bei Genf; gestorben 17. Februar 1998 in Genf, war ein Schweizer Schriftsteller, Reiseautor, Fotograf und Journalist. Mit seinen Reisebeschreibungen wurde er ein Kultautor dieses Genres. Schon als 16-Jähriger unternahm er erste Reisen nach Frankreich und Italien. Nach dem Studium der Geistes- und Rechtswissenschaften in Genf fuhr er 1953 mit seinem Auto nach Afghanistan. 1955 Weiterreise nach Japan. 1956 Rückkehr in die Schweiz. In den sechziger Jahren unternahm er mehrere ausgedehnte Reisen, u.a. nach Japan, China und Korea. Der Schriftsteller, Fotograf und Journalist publizierte zahlreiche Bücher.

Thierry Vernet
war ein in Paris ansässiger Maler und Illustrator aus Genf. Geboren 1927, er starb 1993 in Paris.

Fiat Topolino 500 A, Model 1948
Es mag merkwürdig klingen, aber alles begann mit einer Idee des italienischen Diktators Benito Mussolini. 1930 hatte der Duce den SenatoreGiovanni Agnelli zu sich gerufen, um ihm die "unabdingbare Notwendigkeit" mitzuteilen, die Italiener mit einem preiswerten Auto zu motorisieren. Der Preis des Gefährts sollte die Summe von 5000 Lire nicht überschreiten.

Der erste Fiat 500 – in Italien auch liebevoll Topolino genannt (zu deutsch: Mäuschen, aber auch der italienische Name der Comicfigur Mickey Mouse) – wurde in den Jahren 1936 bis 1955 in drei Versionen insgesamt 516.646-mal gebaut. Der Motor des von 1936 bis 1948 produzierten Fiat 500 A leistete mit 569 cm³ 10 kW (14 PS) bei 4000/min. Der Motorblock war so tief eingebaut, dass der dahinter etwas höher liegende Kühler ohne Wasserpumpe (Thermosiphonkühlung) auskam. Weil der Tank vorn unter der Windschutzscheibe lag, brauchte der Wagen keine Benzinpumpe. Der zweifach gelagerte Vierzylinder-Reihenmotor hatte stehende Ventile und Schleuderschmierung.

Routenverlauf
Genf – Zagreb – Belgrad – Batschka Region – Palanka – Belgrad – Kragujevac – Nisch - Prilep (Mazedonien) – Saloniki (Griechenland) – Alexandropolis – Konstantinopel (Türkei) – Ankara – Bogazkoy - Sungurlu – Merzifon – Ordu – Fatsa – Ordu Pass - Babali – Giresun – Trabzon – Gümüshane – Zigana-Pass - Cop-Pass – Bayburt – Erzurum – Hassankale – iranische Grenze – Maku – Täbris (Aserbaidschan) "längerer Aufenthalt" - Mijandoah – Mahabad – Mangur Tal – Mahabad – Täbris – Mijane – Kaswin – Teheran – Kum - Isfahan – Abade - Schiras – Tacht - Dschamschid, Persepolis – Surmak – Jasd – Abarku – Jasd – Kerman – Cham – Anar – Rafsandschan – Kerman – Bam – Faradsch – Nosratabad – Sahedan – Mirdschawe (Zollposten) – belutschische Wüste – Quetta – Chodschak Pass –Schaman - Laskur-Dong (afhanische Grenze) – Kandahar – Mokor – Saraji – Kabul – Hindukusch – Chaiber-Pass (afhanische Grenze) – Galle

Auszüge aus dem Buch
mit ))meinen Anmerkungen((

Seite 07
Markt in Travnik, Bosnien
Beschreibung des Marktgeschehens aus dem Brief von Thierry.
))man sollte den Markt von heute mit der vorliegenden Beschreibung vergleichen((

Seite 08
Wir hatten zwei freie Jahre vor uns und Geld für vier Monate. Unser Programm war vage, aber bei solchen Unternehmungen ist es das Wichtigste, dass man überhaupt einmal losfährt. Eine Reise braucht keine Beweggründe. Sie beweist sehr rasch, dass sie sich selbst genug ist. Man glaubt, dass man eine Reise machen wird, dich bald stellt sich heraus, dass die Reise einen macht – oder kaputtmacht.

Seite 22
Belgrad ist von einem bäuerlichen Zauber erfüllt. Dabei hat es nichts von einem Dorf, aber ein ländlicher Geist durchweht die Stadt und verleiht ihr etwas Märchenhaftes.

Seite 23
..., denn es scheint mir eine der schlimmsten Seiten der Armut zu sein, dass sie die Frauen hässlich macht.
)) ich finde, dass die Armut Frauen hübsch macht, denn sie bleiben natürlich, erfreuen den Mann mit kleinen Aufmerksamkeiten, wie eine frisch gepflückte Blume im Haar. Sie tragen keine Schminke, erwecken keine falschen Hoffnungen, zeigen sich, so wie sie sind.((

Seite 26
....wenige Gegenstände, an denen wir aber mit Liebe hängen. Die magische Kraft einer Reise liegt darin, dass sie das Leben reinigt, bevor man es einrichtet und ausschmückt.
Fiebermücke Papadatschi ))Tigermücke, kann Viren übertragen((

Seite 28 / 29
orthodoxe Kirche gegen Embleme der Partei.
Revolutionen mit ihrer Propaganda zu Schlagworten und Symbolen.

Seite 31ff
Belgrad Museum, Saal Bildhauer Mestrovitsch, Epoche Kaiser Hadrian

Seite 35
Zigeuner

Seite 36
Der Sommer neigte sich langsam dem Herbst zu.
Gänsemädchen )) Gänseoma habe ich 2021 noch in Moldawien gesehen((

Seite 43
Einmal werde ich hierher zurückkommen – wenn es sein muss, rittlings auf einem Besenstil.

Seite 45
Kragujevac, Region Tschumadja, auf dem Weg nach Mazedonien:
Mais, Raps, Weizen, Obstgärten, Sliwowitz, Nussbäume

Seite 48
Die Serben sind unglaublich freigebig und grossmütig, haben den antiken Sinn der Bedeutung des Festmahls bewahrt.

Seite 49
...kleiner Betrag...lange Zeit. Wir versagen uns jeden Luxus ausser dem kostbarsten: Musse.

Seite 50
...durchdringt uns der Fluss der Reise, und der Kopf wird klar. Gedanken, die nichts darin zu suchen hatten, verflüchtigen sich; dafür richten sich andere ein....
Zum Glück dehnt sich die Welt für Schwache wie mich aus und unterstützt sie.

Seite 54
...die mazedonische Geschichte sich seit 1000 Jahren darin gefällt, die Völker und die Gemüter durcheinanderzubringen.

Seite 62
...liess jeder seine mitgebrachte Taube fliegen, wie es hier sonntags Brauch ist.

Seite 71
Die Reise gibt einem Gelegenheit sich wachzurütteln, aber nicht die grosse Freiheit. Man findet sich eher mit Einschränkungen ab, aus seinem täglichen Rahmen herausgerissen, seinen Gewohnheiten beraubt, auf ein bescheideneres Mass reduziert. Gleichzeitig aber der Neugier, der Intuition, der Liebe auf den ersten Blick zugänglicher.

Seite 81 ff
Auf der Suche nach Einkommen.

Seite 86
Das Nomadendasein macht einem empfänglich für die Jahreszeiten. Man hängt von Ihnen ab, ...

Seite 91
Die grossen Weiten, die erregenden Gerüche, das Gefühl, noch die besten Jahre vor sich zu haben, erhöhen die Lebensfreude, wie die Liebe es tut.

Seite 93
Ich liege im glitzernden Gras und bin glücklich, dass ich auf der Welt bin, dass – ja was eigentlich? Aber wenn man so müde ist, braucht man keine Gründe mehr, um optimistisch zu sein.

Seite 110
...man beeilt sich, diesen einmaligen Augenblick wie einen leblosen Gegenstand tief ins Gedächtnis zu versenken, um ihn später wieder einmal hervorzuholen.

Das eigentliche Gerüst des Daseins besteht weder aus der Familie noch der Karriere, noch aus dem, was andere Leute von einem denken oder sagen, sondern aus einigen Augenblicken, in denen man durch-wallt wird von einem Gefühl, das noch gelassener ist als die Liebe. Das Leben teilt sie uns so sparsam zu, wie es der Schwäche unseres Herzens angemessen ist.

Seite 112
Hier herrscht die persische Schrift, die nach rückwärts läuft.
In einer Nacht waren wir aus dem zwanzigsten nachchristlichen Jahrhundert ins vierzehnte der Hedschra hinüber gewechselt, in eine andere Welt.

Seite 120
...der Fanatismus ist die letzte Auflehnung des Armen.

Seite 122
niemals erscheint die Arbeit verlockender, als wenn man sich gerade daranmacht. Darum liessen wir sie liegen und zogen aus, um die Stadt zu entdecken.

Seite 155
Dabei habe ich sie praktisch so gut wie nie betrogen, abgesehen von ein paar Reiseabenteuer, die mich fast nichts gekostet haben...

Seite 159
...Sehnsucht nach jungfräulichen Ländern, ...
...man reist ja, damit sich etwas ereignet und ändert...

Seite 160
Maler Bagramian
))Nairy Baghramian ist eine iranisch-armenische Künstlerin, 1971, Isfahan((

Seite 169
...uraltes Soiel, bei dem der Geduldige gewinnt. Man liess uns gewinnen.
Es hat keinen Sinn, mit der Pistole auf Besuch zu gehen, besonders wenn man nicht gut damit umzugehen weiss. Wir reisten, um die Welt zu sehen, nicht um auf sie zu schiessen.

Seite 183
Bestechung innerhalb des Systems, um auf der beruflichen Leiter weiterzukommen.
))nicht nur hier, sondern in vielen Ländern so üblich((

Seite 185
Wahlbetrug

Seite 191
Reisende sind etwas anderes. Die Gastfreundschaft schützt sie, und ausserdem bilden sie eine Abwechslung, ...

Seite 230
Es ist unglaublich, wie gross der Einfluss einer über fünfhundert Jahre alten, sehr hermetischen Poesie im Iran noch heute ist und wie beliebt und bekannt die Verse überall sind.

Seite 231
Die Melodie der persischen Sprache ist prachtvoll und die Sufi-Esoterik genährte Poesie eine der erhabensten der Welt.

Seite 233
Die Gärten im Iran streben nach dem notwendigen Mass an Schatten und nach Frieden.

Seite 237
Es ist die Reise, die sie träumen lässt. Die Reise, die Überraschungen, die Widerwärtigkeit, die Mystik des Weges, die im Herzen der Orientalen so lebendig ist und die uns so oft Nutzen gebracht hat.

Seite 244
Dschinnen, die einen überfallen, wenn man abends einem Wasserlauf folgt, ohne den Namen Allahs zu nennen.
Ich glaube eher, dass es Landschaften gibt, die einem böse gesinnt sind und die man unverzüglich verlassen muss, sonst stösst einem etwas Unvorhersehbares zu. Es gibt nicht viele davon, aber es gibt sie. Für jeden von uns existieren auf dieser Welt fünf oder sechs.

Seite 247
...das übliche Dreigestirn dieser Küstenschiffe der Landstrasse.

Seite 255
Auch die besten Landkarten des Iran sind ungenau.

Seite 256
Persepolis: monumentaler Aufgang mit erhabenen Reliefs.
...das Unglück, vernichtet zu sein, ehe man wirklich gelebt hat.

Seite 263
...wo mit jeder Etappe, die wir zurücklegen, das Leben karger, die Lastwagen rarer, die Lebewesen seltener und die Sonnenstrahlen heisser werden.

Seite 292
Quetta: ...Bahnhof, der einem Spielzeug aus der Jahrhundertwende gleicht, ...

Seite 293
Beschreibung einer Autowerkstatt!

Seite 294
Es gab auch blaue Türen mit durchbrochenen Gitterwerk, hinter denen junge, von schwarzen Strähnen umrahmte Gesichter auf Kunden Warteten. Durch das Guckloch entspann sich eine diskrete Diskussion, dann wurde dem Freier aufgetan.
))Heute noch in Marokko in Orten wie Azrou, Ait Löh, ...((

Seite 295
...begehrte mehr nach Musse als nach Lust. Alles, womit sie sich befassen, sogar die Liebe gegen bar, ist von einer schlichten Finesse geprägt.

Seite 309
Pornografie ist eine Beschäftigung für die Alten.

Seite 319
Die kleinste Gefühlsbewegung, ein Lächeln gehen einem geradewegs ins Herz... Auch das Fieber wiederholt sich immer wieder. Alle vier, fünf Tage: Schwächegefühl und Schüttelfrost. Mir ist, als wäre mein ganzer Körper mit nassem Laub und schmutzigem Wasser bedeckt. Nichts Ernstes, aber es reicht aus, um mich abzulenken.

Seite 341
Die Malaria ist nicht gefährlicher als eine tüchtige Grippe, jeder Arzt wird das bestätigen. Trotzdem zehrt sie von dem Bild, das man sich von ihr gemacht hat. Der Mensch wird zittrig und schwach, er möchte, dass ihm alles möglichst leicht gemacht wird. Nichts als schlafen, das Bett ist gut – wenn nur die Fliegen nicht wären!

Seite 351
Der Reisende möge sich mit der gebührenden Bescheidenheit präsentieren und ...

Seite 356
...Menschen, die das Lachen verlernt hatten und darum so schutzlos schienen.

Seite 386
Jedem seine eigenen Scherben und Ruinen, aber es ist immer die gleiche Katastrophe, wenn ein Stück Vergangenheit verlorengeht.

Seite 390
Wenn man sich den Vierzigern nähert, verliert in der Regel das weltweite Herumstreunen seinen Glanz und seinen Zauber. Man muss seine Ansprüche herunterschrauben. Man macht seine Weg, man schlägt sich durch, man wird ein wenig härter. Die Jahre mehren sich. Der Aufbruch vergisst sein Ziel, wird zur Flucht; das Abenteuer, seines Sinnes entleert. Zieht sich ohne Schwung und nur noch mit ein paar Tricks in die Länge. Reisen ist belehrend für die Jugend, aber diese vergeht auch darüber. Man verbittert.
))Nicht so ich. Ich fühle mich in meinem einfachen Nomadendasein vollkommen wohl, die Seele durch viele Schwierigkeiten geläutert, das Gemüt frisch und offen für Neues.((

Seite 401
...huckeligen Fiat Topolino, der alleine schon die Fahrt zum Abenteuer machte.

Die "Erfahrung der Welt" ist eine Metapher für das, was eine Reise mit dem Menschen macht:
Sie verändert die Wahrnehmung, bricht Gewohnheiten auf und offenbart die Welt und das eigene Selbst in ihrer Komplexität und Schönheit, indem man sich auf das "Gebrauchen der Welt" einlässt, anstatt sie nur zu durchqueren.