Nis
Wizz Air aus Ungarn bietet Destinationen an, die von anderen Fluggesellschaften nicht angeflogen werden und in einigen Ländern, wie im letzten Winter nach Rumänien, sind interessante Kombinationen buchbar. So auch in Serbien mit der Stadt Niš und der Hauptstadt Belgrad. Zwischen den beiden Städten liegen zwar nur knapp 200 Kilometer, aber es ist ein schönes Erlebnis, mit dem Zug durch die unterschiedlichsten Landschaften des Landes zu reisen.
Ein Flug nach Serbien bedeutet das Verlassen der Europäischen Gemeinschaft und damit das Passieren der Passkontrolle am Abflughafen. Der Flug war pünktlich, die Maschine voll und nach weniger als zwei Stunden landeten wir auf dem kleinen Flughafen von Niš. Auch hier hiess es wieder Passkontrolle und endlich einen Einreisestempel in den Pass bekommen. Der Flughafen ist so klein, dass gleich hinter der Passkontrolle das Gepäckband rotiert und der Zollbeamte daneben steht und seine Arbeit verrichtet. Keine fünf Schritte später sind wir draussen und der erste Taxifahrer bringt uns für den vom airbnb-Vermieter angegebenen Preis zu unserer Ferienwohnung. Unser Studio liegt in einem Wohnviertel etwas ausserhalb des Stadtzentrums im siebten Stock. Der Eingang ist dunkel, der Aufzug zittert uns nach oben. Dafür überrascht das Studio mit einer modernen Einrichtung und einem Blick auf die beleuchtete Stadt Niš.
Niš ist eine der ältesten Städte Serbiens und liegt im Süden des Landes. Mit rund 250.000 Einwohnern ist sie die drittgrösste Stadt Serbiens und bekannt für ihre reiche Geschichte, die bis in die Römerzeit zurückreicht. Niš ist der Geburtsort des römischen Kaisers Konstantin des Grossen und spielte eine wichtige Rolle in der römischen und byzantinischen Geschichte. Heute ist die Stadt ein wichtiger Verkehrs- und Bildungsknotenpunkt mit dem Rest des Landes und der nahen bulgarischen Hauptstadt Sofia, mit einer Universität und vielen kulturellen Veranstaltungen wie dem Nišville Jazz Festival.
Das Stadtzentrum ist bequem zu Fuss von unserer Unterkunft aus zu erreichen. Im Wohnviertel selbst gibt es einen Supermarkt, aber keine Kneipen oder Restaurants. Da Serbien kein europäisches Handy-Land ist, muss man sich erst einmal eine lokale SIM-Karte besorgen und Euros in serbische Dinar umtauschen. Die erste Wechselstube ist geschlossen, aber am Fenster hängt noch der aktuelle Tageskurs. Im Kiosk gegenüber gibt es zwar SIM-Karten, aber man spricht weder Englisch noch Deutsch. Weiter im Zentrum haben wir mehr Glück und bekommen unsere Dinar. Am Kiosk hilft uns eine Studentin mit sehr guten Englischkenntnissen beim Kauf der SIM-Karte und zum Aktivieren begleitet sie uns in den nahe gelegenen Shop des Telefonanbieters. So, wir sind wieder online! Die Studentin zeigt uns auch die Kneipenstrasse und auf gut Glück suchen wir uns ein Lokal aus. Überrascht stellen wir fest, dass in den Restaurants geraucht wird, was wir hier in Europa nicht mehr gewohnt sind. Draussen ist es schon zu kühl, also suchen wir uns einen Tisch im Lokal und zu diesem Zeitpunkt sind noch wenige Gäste da und nur die Kellner rauchen in ihrer Ecke. Später wird es schlimmer. Im Restaurant wird ein Geburtstag gefeiert und es scheint, dass die Gäste, vor allem die Frauen, nicht ohne Rauch und natürlich Handys auskommen. Interessent ist zu beobachten, dass die Begrüssung unter den Gästen sehr kühl ausfällt, ein Händedruck genügt. Lediglich das Geburtstagskind wird von allen innig umarmt. Zum Glück sind wir mit unserem Hauptgang schon fast fertig. Jeweils ein sehr gutes Stück Fleisch mit Gemüse und Pommes frites. Zuvor gab es lokale Vorspeisen wie warmen Käse und Paprika. Im Gegenzug zum Rauch haben wir Live-Musik genossen.
Am nächsten Tag galt es, die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu entdecken. Beim Bummel durch die Neustadt finden wir Geschäfte wie bei uns. Auch die Preise sind in Euro ausgezeichnet und werden zum Tageskurs in Dinar bezahlt. Wenn man an das Durchschnittseinkommen der Serben denkt, sind die modernen Kleider und Schuhe recht teuer. Unter der autofreien Haupteinkaufsstrasse befindet sich unterirdisch ein Labyrinth kleiner lokaler Geschäfte, wie man es aus anderen östlichen Städten kennt, um nicht zu sagen aus der Zeit der UdSSR. Denn eine russische Zeit gab es in Serbien nicht. Die Föderative Jugoslawische Republik (SFRJ) unter Josip Tito war kommunistisch, aber blockfrei.
Am Ende der Fussgängerzone führte eine Brücke über den Fluss Nišava direkt zur gut erhaltenen osmanischen Festung. Auf meine Bemerkung, dass Niš eine kleine Stadt sei, reagierte die Dame im Tourismusbüro nicht erfreut. Sie war stolz auf ihre Heimatstadt, aber einen Stadtführer oder eine Karte gab es nicht. Sie hatte nur noch einen einzigen Stadtplan, den man aber gerne fotografieren durfte.
Das prächtige Haupttor aus osmanischer Zeit bildet einen eindrucksvollen Zugang zur Festung. Ein osmanisches Badehaus ist noch gut erhalten und bietet einen Einblick in die traditionelle Architektur und Kultur der damaligen Zeit. Im Park befindet sich die Bali Bey Moschee, die heute als Ausstellungsraum genutzt wird. 1521 wurde sie erstmals in der Stadtchronik erwähnt, aber erst 1710 als Moschee mit Minarett genutzt. Ein Freilichtmuseum mit römischen und byzantinischen Steindenkmälern und Grabsteinen liegt an unserem Weg.
Viele Studenten spazieren durch den Park. Denn hinter der Stadtmauer befinden sich verschiedene Schulen der Universität Niš. Wir fragten mehrere Studenten nach dem Weg zur Gedenkstätte Memorijal 12. Februar. Erst ein rauchender älterer Professor, der in einem etwas ausgeblichenen Anzug, mit Pullover und vom Zigarettenrauch gelb gefärbtem Bart am Eingang stand, wies uns nicht nur den Weg zum ehemaligen Konzentrationslager, sondern gab uns in holprigem Englisch auch gleich die nötige Geschichtsstunde.
Die Gedenkstätte 12. Februar erinnert an das Konzentrationslager, das während des Zweiten Weltkriegs von der deutschen Besatzungsmacht errichtet wurde. Es war eines der ersten Konzentrationslager in Serbien und diente der Inhaftierung und Ermordung von politischen Gefangenen, Widerstandskämpfern, Roma, Juden und anderen Gegnern des Nationalsozialismus.
Die Gedenkstätte trägt ihren Namen zu Ehren des 12. Februar 1942, an dem einer der grössten Fluchtversuche stattfand. An diesem Tag versuchten etwa 150 Häftlinge aus dem Lager zu fliehen. Von ihnen gelang 105 die Flucht in die Freiheit, die anderen wurden bei dem Versuch getötet. Diese Heldentat wird in Serbien jedes Jahr am 12. Februar als Symbol des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus und die Besatzung gefeiert.
Das ehemalige Lagergebäude kann besichtigt werden. In diesem Gebäude sind Zellen und Räume erhalten, die die Haftbedingungen der Gefangenen veranschaulichen. Die Ausstellung von Dokumenten und Fotografien zeigt das Leben im Lager, die Geschichten der Häftlinge und die Ereignisse der Fluchtversuche. Zu Ehren der Opfer des Konzentrationslagers und der mutigen Fluchthelfer wurde ein Denkmal errichtet. Die Gedenkstätte ist ein wichtiger historischer und pädagogischer Ort in Serbien, der die Erinnerung an die Opfer wach hält und an den Widerstand gegen Unterdrückung erinnert.
Etwas
bedrückt von der erlebten Geschichte schlendern wir durch den Park
zurück in die Stadt.
Gleich neben der Festung befindet sich der
Markt mit vielen kleinen Geschäften. Die Farbenvielfalt eines
Marktes erfreut mich immer wieder. Es muss ja nicht gleich ein Markt
wie in der Grossstadt sein. Essen und Trinken, Kleidung, Antiquitäten
oder Gewürze sind auch auf einem Markt in einer Kleinstadt
sehenswert. Das Beobachten der Marktbesucher und der Marktverkäufer
ist etwas Besonderes. Was mich nicht nur in Niš, sondern auch später
in Belgrad überraschte, waren die vielen Buchhandlungen. Es scheint,
als würden die Serben noch lesen. Buchhandlungen gibt es auf dem
Markt, in der Einkaufsstrasse und in den modernen Einkaufszentren.
Leider beschränkt sich das Angebot auf die serbische Sprache, hier
und da findet man eine kleine Ecke mit englischsprachiger Literatur.
Wir erholen uns in einer Pizzeria und gehen später zum Bahnhof, um die Fahrkarten für die morgige Zugfahrt nach Belgrad zu kaufen.