Oran Besichtigung

10.01.2023

Albert Camus beschrieb Oran in ein paar Worten mit grossartig, fruchtbar, brutal.
Vor zehn Jahren war der erste Kommentar des spanischen Schriftstellers Javier Reverte über die Stadt: gefällt mir! Für mich war der erste Eindruck chaotisch, verwahrlost, aber voller Leben mit sehr netten Menschen.

Gestern Abend wollte ich Fisch essen. In den einfachen Restaurants in der Stadtmitte gibt es keinen Fisch. Auch hier, direkt am Mittelmeer, ist Fisch teurer als Fleisch. Daher musste ich ein etwas gehobeneres Lokal aufsuchen. Unten an der Umfahrungsstrasse, aber rund 30 Meter über dem Hafen fragte ich einen Passanten um seinen Ratschlag und er empfahl mir das Dragon, gleich neben der Bodega, aber Letzteres hätte keinen Fisch. Das Lokal war voll. An der Bar standen Männer mit Bierflaschen in den Händen, an den Tischen waren auch weibliche Gäste. Der Lärmspiegel war sehr hoch und für uns heute unvorstellbar, es wurde im Lokal geraucht! Der Wirt, sehr nett, hat mir gleich einen Vierertisch aufgedeckt und mich an die Fischtheke begleitet. Ich wählte Merluza. Als Vorspeise einen gemischten Salat und vom Haus eine etwas scharfe Pasta aus gerösteten Zwiebeln. Dazu gab es einen algerischen Cabernet, Omar Khayam.

Als ich mein Abendessen beendete, fragte mich der Wirt freundlich, ob er vielleicht drei weitere Gäste an meinen Tisch setzen dürfte, da das Restaurant voll wäre. Gerne sagte ich zu und so kam ich bis kurz vor Mitternacht mit Geschäftsleuten aus Algier und einem Architekten aus Oran ins Gespräch. Wir redeten und diskutierten über alles und über nichts. Ein sehr angenehmer und überaus interessanter Abend. Die Rechnung war dann auch entsprechend mit rund 35 Euros. Dafür war das heutige Mittagessen mit einem Eiersandwich für 20 Cents nicht nur preislich der Hammer.

Nach dem Frühstück im Hotel schulterte ich meine Kamera und spazierte in Richtung der Festung Santa Cruz, die man schon von Weitem sieht. Mein erster Besuch galt der früheren französischen Kathedrale Sacré-Coeur, welche heute von der Universität als Bibliothek und Lesesaal genutzt werden. Der Altar und das Chorgestühl stehen noch, sind aber mit Taubenkot verschmutzt. Dies scheint niemand zu kümmern. Im Untergeschoss der Kathedrale und in kleinen Kiosken ausserhalb des Gotteshauses werden Bücher aus zweiter Hand angeboten. Die anwesenden Studenten waren vorwiegend Frauen mit Kopftuch. Auf meinem weiteren Spaziergang stand ich plötzlich vor einem riesigen Gebäude. Es stellte sich heraus, dass es sich hier um die damalige Synagoge handelt. Sie wurde von 1880 bis 1918 erbaut und ist heute eine Moschee, Abdullah Ibn Salam, ein treuer Begleiter des Propheten. Leider war die Moschee geschlossen und die alte Synagoge konnte nicht besichtigt werden. Von hier sind es nur wenige Gehminuten bis zum französischen Hauptplatz, Place des Armes, gekrönt mit dem präpotenten Rathaus mit zwei Löwen, welche den Treppenaufgang bewachen. Auf der linken Seite steht das mit Säulen, Kuppeln und riesigen halbnackten Figuren geschmückte Theater.
Gleich hinter dem Theater führt die Strasse runter ins Tal, welches den französischen Stadtteil vom spanischen trennt. Findet der Besucher im ersteren Stadtteil herrliche Bauwerke, welche einfach mal wieder etwas Liebe benötigen, ist der spanische Teil erschreckend. Die ganze Strasse runter ins Tal ist verwahrlost, 90 % der Gebäude verfallen, nur hie und da sieht der Betrachter, dass hinter den Fenstern noch jemand lebt. Ein Einheimischer, der mich auf Abstand beim Fotografieren beobachtet hat, erklärt mir, dass dies die Strasse der Pubs, der Bordelle und Stundenhotels war. Interessant sei aber unten auf dem Platz, da gäbe es eine Gedenktafel an einen spanischen Militär und sogar eine Gedenktafel mit dem spanischen Wappen..

Der Aufstieg zur Festung Santa Cruz war mir dann doch zu ansträngend und ich hoffte auf ein Taxi. In anderen nordafrikanischen Ländern fahren mehr Taxis als Autos durch die Gegend, hier in Oran nicht. Über eine kurvenreiche Strasse fuhren wir den Berg hinauf. Leider war aber die Burg noch geschlossen. Als ich bereits wieder beim Abstieg war, riefen mir Studenten, Monsieur, sie öffnen! Im späteren Gespräch erfuhr ich, dass sie aus dem Landesinnern, aus Medena kämen und dort Marketing studierten. Ihre Zukunft sähen sie nach dem Studium im eigenen Land oder dann in Dubai.

Die Aussicht von der Festung ist atemberaubend. Freier Blick auf die beiden Häfen von Oran und über die Stadt. Bei klarem Wetter würde man sogar Spanien sehen.

Ich musste zurück ins Hotel, meine Kamera wollte eine volle Batterie. Am Nachmittag besuchte ich den Stierkampfplatz von Oran. Auf dem afrikanischen Kontinent gibt es davon deren vier, einer ist in Tanger, einer in Melilla und der Dritte in Südafrika. Aus dem Reisebericht von Javier Reverte war ich darauf gefasst, einen verwahrlosten Plaza de Toros vorzufinden, wie ich ihn aus Tanger kenne. Aber welch positive Überraschung. Schon von aussen machte das Gebäude mit über 100 Jahren Geschichte einen sehr guten Eindruck. Der Haupteingang war offen und ein sehr schön renoviertes für Stierkampfplätze typisches Kellergewölbe empfing mich. Eintritt 70 Cents und ein geführter Rundgang in der Gruppe. Wo früher den Besuchern Getränke und Essen angeboten wurden, hat die Stadt Werkstätten für heimische Künstler geschaffen. Der ganze Platz kann besichtigt werden, aber nur mit Führung, da gleich nebenan eine riesige Militärkaserne steht und keine Fotos auf deren Einrichtungen gemacht werden dürfen. Somit ist der auf den Graden nur zur Strassenseite begehbar.

Gleich neben dem Stierkampfplatz gibt es erste Verkaufsgeschäfte für Fahrzeugteile. Da meine Kollegen und ich für unsere Peugeot J7 und J9 immer auf der Suche nach Ersatzteilen sind, fragte ich, ob vielleicht jemand etwas in diese Richtung zu bieten hätte. Wie immer wurde mir freundlich geholfen und so ging es ohne Erfolg von einem Händler zum nächsten. Ich fragte dann, ob es nicht einen offiziellen Karsan (türkische Peugeot Nachbauten), welche hier als Grosstaxi fahren, gäbe. Ein netter und redefreudiger Taxifahrer hat mich dann quer durch die Aussenviertel der Stadt zum offiziellen Händler gefahren, dort war aber nur noch ein gelangweilter Verkäufer. Die Ausstellungshalle war leer, Neuwagen zum verkaufen hatte er schon lange keine mehr und seine Kollegen vom Lager waren seit 15 Uhr zu Hause. Ob die mir weiterhelfen können, wusste er nicht, glaubte aber schon. Da es von hier bis ins Stadtzentrum wieder ein weiter Weg war, versuchte ich vergebens, ein Taxi zu bekommen und fuhr schliesslich mit dem öffentlichen Bus eingequetscht bis ich durchs Fenster einen mir bekannten Ort entdeckte und gerne ausstieg.

Oran ist eine ganz gewöhnliche Stadt, nicht mehr und nicht weniger als eine französisch spanische Hafenstadt an der algerischen Küste. Die Eigenheit Orans ist, dass sie durch den Höhenunterschied vom Meer getrennt ist und wie aus Trotz dem Mittelmeer den Rücken zudreht. Die Stadt hat an Geschichte sehr viel zu bieten, leider sind aber nur ein paar wenige Monumente erhalten geblieben und die religiösen Sehenswürdigkeiten meistens geschlossen.