Seidenstrasse

05.04.2023

Bereits das Wort Seidenstrasse klingt in den Ohren vieler Menschen nach 1001 Nacht, nach orientalischer Pracht und exotischer Ferne. Und wir sind nun mitten drin in diesem Märchen und machen die Geschichten war.
Daneben verblasst die reale Bedeutung der alten Handelsroute, die einst ein weitverzweigtes System von Karawanenwegen und ein west-östliches Kommunikationsnetz sondergleichen darstellte. Der Begriff Seidenstrasse aber gibt das komplexe historische Phänomen nur unzureichend wieder.
Die Seidenstrasse stellte ein eurasisches Handels- und Kommunikationsnetz dar, das seit Beginn der modernen Zeitrechnung Orient und Okzident verband. Das Netz reichte von China über Zentralasien bis in die Levante und nach Westeuropa. Gehandelt wurde nicht nur mit Seide, sondern mit einer breiten Palette von Handelswaren. Über die Karawanenwege verbreiteten sich zudem Kunstrichtungen, Herstellungs-techniken, Formen und Religionen.

Entstehung und Dimension
Archäologische Funde und Nachrichten antiker Quellen zeugen von Kontakten bereits im 2. Jahrhundert vor Christus zwischen China und dem Uralgebiet. In Felsenzeichnungen in Südsibirien, der Mongolei und in China finden sich Bilder mit Herkunft aus der griechisch-römischen Welt. Weitere Funde belegen die Beziehungen zwischen dem Mittelmeerraum und Mittelasien. Gleichzeitig auch zwischen dem Reich der Kuschan nördlich und südlich des Hindukusch mit China und dem indo-sakischen Bereich. Die Kontakte erweiterten sich mit der Ostexpansion der Perser und dem Vordringen türkischer Völkerschaften nach Mittelasien. Mit den Niedergängen und den Aufstiegen der verschiedenen Nomadenreiche veränderten sich der Umfang und die Reichweite des Kommunikations- und Handelsnetzes. In seiner grössten Ausdehnung erstreckte sich das Netz von China bis Westeuropa auf über 8'000 Kilometer.
Ihr östlichen Ausgangspunkte besass die Seidenstrasse im Süden Japans und in den chinesischen Hauptstädten. Eine andere Route folgte den Weg nördlich der Taklamakan Wüste, berührte den Syr-Darja Fluss und erreichte am Aralsee vorbei die Wolga, Don, die Krim und das Mittelmeer.
Von den mittelasiatischen Handelsplätzen zogen die Karawanen durch das Tal des Kabul Flusses und des Swat zum Indus, dem Persischen Golf und nach Arabien.
Von den japanischen Inseln führte die Nordost-Route über die koreanische Halbinsel, über Peking, den Edsingol Fluss und Turfan nach Kutscha und Jarkand. Im Tarim Becken berührte diese Route die Südroute, die über Ganzhou, Anxi und Miran heranführte.
Wichtige Stationen in Mittelasien waren Chodschand, Samarkand, Buchara, Gurgandch, Merw und Nischapur. Von dort zogen die Karawanen weiter ans Kaspische Meer und nach Georgien, Bagdad, Isfahan, an den Bosporus nach Konstantinopel. Abzweigungen führten bis zur Golfküste.

Natürlich bereisten die Kaufleute nur bestimmte Abschnitte. An deren Enden wechselten die Waren und Karawanen. Zwischen China und Mittelasien lag der Handel in den Händen der turksprachigen Uiguren. Die Tadschiken waren im Geschäft mit China aktiv, dessen Waren sie in den Iran und nach Konstantinopel brachten. An der Wolga übernahmen jüdische und ostslawische Händler den Transport auf der Route nach Mittel- und Westeuropa.
Angeschlossen an die Seidenstrasse war auch die sibirische Pelzstrasse, welche aus der Mandschurei zum Baikalsee wiederum bis zur Wolga führt. Von hier war es nicht mehr weit bis zu den Handelszentren Kiew und Nowgorod.

Die Welt der Kaufleute und des Karawanenhandels
Unter der Tang Dynastie zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert erlebte der Handel eine erste Blütezeit. Das Reich der Mitte entfaltete sich zu einem leistungsstarken Staatswesen, das Stabilität und wirtschaftlichen Erfolg garantierte. Gleichzeitig wurde aber auch die Kunst und Wissenschaft gefördert und sorgte sich um sichere Handelsbeziehungen mit Mittel-, Süd- und Vorderasien. Aus China wurden Seide, Tee, Gewürze, Duftstoffe, Papier, Porzellan, Jade, Edelsteine und Keramik exportiert. Das chinesische Kaiserreich importierte Bernstein von der Ostsee, Juchtenleder, Fuchs, Zobel- und Marderfelle aus dem Norden der Rus und Westsibirien. Aus Arabien und dem Persischen Golf kamen Weihrauch, Koralle und Perlen. Aus Indien Baumwolle und Messing. Aus Persien Glas- und Kristallgefässe sowie Stoffe. Byzanz lieferte Brokat, Afghanistan Lapislazuli, Mittelasien Seide, Heilpflanzen und Rubine. Die Mongolei Kamele und Pferde. Aus dem Westen wurden Medikamente importiert. Jagdfalken, Jagdhunde und Geparden sowie Wein kamen aus Taschkent und Persien.
Die Waren und Angebote wechselten mit der Zeit und eine Verlagerung des Transportweges auf den Seeweg spielte eine immer wichtigere Rolle.
Die Seidenstrasse war über weite Distanzen kein befestigter Weg. Die Karawanenführer mussten mit ihren jeweiligen Routen bestens vertraut sein und die Wasserstellen zwischen den Karawansereien und Handelsplätzen kennen.
Die Wüsten konnten nur mithilfe von Kamelen und Dromedaren durchquert werden. In der Steppe kamen aber auch Wagen zum Einsatz. Eine holprige Angelegenheit, aber sie boten Schlaf-, Wohn- und Ruheraum, welche die lange Fahrt etwas erleichterten. So wie der arabische Gelehrte Ibn Battuta aus Tanger.
Ibn Battuta verliess anfangs des 14. Jahrhunderts mit 21 Jahren Tanger, um die heiligen Stätten zu besuchen und den Hadsch zu vollziehen, die Pilgerreise nach Mekka. Das Reisen gefiel ihm so sehr, dass er die nächsten 30 Jahre unterwegs war und über 120'000 Kilometer zurücklegte, so auch auf der Seidenstrasse bis nach China.
Unterwegs zwischen Pamir und dem Kaspischen Meer wurden besonders die Wüsten gefürchtet. Kisil Kum (Roter Sand), Kara Kum (Schwarzer Sand) und die Wüste Taklamakan. Gefährlich waren vor allem die Sandstürme, sie hielten die Reisenden nicht nur auf, sondern verwehten auch die wenigen Wegmarken und Spuren.
Wo Ware transportiert wird, da sind auch die Räuber nicht fern. Nomadengruppen, Wegelagerer bedrohten die Karawanen. Mit der Zeit wurden daher entlang der Strassen Wachposten, Signaltürme und militärische Aussenposten errichtet.
Deren Aktionsradius war allerdings beschränkt, die Karawanen mussten sich auch selber zu schützen wissen. Neben der Hitze stellten Kälte, Schnee und Eis weitere Hindernisse dar. Bis in unsere Zeit scheiterten militärische Kolonnen an unerwarteten Wintereinbrüchen in den Steppengebieten.
Ein wichtiges Zentrum und Drehscheibe des eurasischen Handels bildete sicher die Stadt Samarkand. Von Alexander dem Grossen gegründet, von Dschingis-Khan zerstört und unter Timur Lenk Ende des 14. Jahrhunderts noch prächtiger wieder aufgebaut, soll hier nur ein kleines Beispiel geben.

Und somit kommen wir zum Westlichen Abschnitt der Seidenstrasse
Archäologische Funde, vor allem silberne Dirhmes (heute noch Münzbegriff in vielen arabischen Ländern wie Marokko), die aus den Städten Taschkent, Samarkand und Buchara stammen, zeugen von regen Handelsverbindungen zwischen Mittelasien und Europa seit dem 9. Jahrhundert. Die Berichte arabischer Handelsreisender wie Ibn Churdadbih, Ibn Fadlan und Ibn Batutta liefern dazu anschauliche Schilderungen.

Das ostslawische Reich der Kiewer Rus mit seinem günstigen Flusssystemen und Handelsplätzen führten wichtige Routen der nordwestlichen Ausläufer der Seidenstrasse. Auf ihr wurden Seiden- und Baumwollstoffe, Wachs, Honig, Leinen, Flachs, aber auch Sklaven sowie Goldmünzen und Luxusartikel aus Konstantinopel getauscht. Jüdische Kaufleute reisen nach Westeuropa. Kontakte bestanden zwischen Kiew, Nowgorod und reichten bis nach Schweden und England, an den Rhein und bis nach Flandern. So zogen slawische jüdische Händler bis nach Prag. Dort zweigte eine Route entlang der Elbe ab, der Hauptweg führte über Regensburg nach Mainz. Über Verdun und Lyon wurden Waren, vor allem aber Sklaven, bis ins andalusische Kalifat Cordoba gebracht. In den Museen von Aachen findet der Besucher Tücher und Gewänder dieser Zeit. In damaligen Berichten wird von Pfeffer, Ingwer und Nelken auf den Märkten in Mainz berichtet. Die fränkischen Adeligen kauften sich Schwerter und abgerichtete Falken. Deren Frauen liebten die Glaswaren und bunten Stoffe.

Austausch von Technologie und Religionen
Ein weiterer Austausch dank der Seidenstrasse zeigt sich in der Verbreitung von Technologien, Kunstfertigkeiten und Religionen.
So fand die Seidenproduktion von China über Mittelasien und den Iran den Weg nach Byzanz. Auf dem umgekehrten Weg fand das Verfahren der Glasherstellung den Weg ins Reich der Mitte. Später verbreitete sich die Produktion von Papier und Pulver Richtung Westen. In Mittelasien fanden Bronzespiegel aus China und iranische Techniken der Edelmetallbearbeitung Nachahmer. Neue Handwerkszweige entstanden entlang des Handelsweges. Die Produktion von bunten Stoffen aus Wolle und Baumwolle durch Importe aus Zentralasien und der Levante in das chinesische Reich vermittelt. Damit einher ging die Übernahme von Ornamenten, Motiven, Mustern und Abbildungen auf Kleidung, Teppichen und Wandbehängen.

Die Völker verbindende Bedeutung der Seidenstrasse zeigt sich in der Verbreitung von Musikinstrumenten, die religiösen Zwecken, dem Tanz und der Unterhaltung dienten. Der Buddhismus begleitete die Kaufleute aus Indien bis nach China. Die christliche Religion wie auch der Islam verbreiteten sich entlang der Handelsstrassen.
Dschingis-Khans Nachfolger errichteten in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhundert über weite Teile entlang der Seidenstrasse ihre Herrschaft. Kommunikations- und Handelsrouten vernetzten die sich bald verselbstständigenden mongolischen Nachfolgestaaten. Das System erlebte eine Verdichtung und funktionelle Erweiterung durch das mongolische Fernmelde- und Postwesen. Es verkürzte die Reisezeit und beschleunigte die Übermittlung von Nachrichten.
Die verbesserte Kommunikation förderte eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte in China, Persien und Zentralasien mit Ausstrahlung bis nach Osteuropa. Die mongolischen Herrscher verschonten bei ihren Kreuzzügen oftmals Handwerker, Künstler und Fachleute und schleppten sie an ihre Höfe. Die Macht der Herrscher zeigte sich im Reichtum der Architektur und Kunststilen, in der vielfältigen Mischung westlicher und östlicher Motive, Mythen, Darstellungsformen und Techniken.
Berichtet wird vom Bau buddhistischer Pagoden, die Gemälde im Stil zentralasiatischer und chinesischer Tradition schmückten. Zur gleichen Zeit wurde die Architektur Mittelasiens immer mehr iranische Elemente verwendet und weiterentwickelt. So entfaltete sich eine materielle Kultur, die trotz Unterschieden im Detail islamische Gemeinsamkeiten in Architektur und bildender Kunst erkennen lassen.
Gegen Ende des 14. Jahrhunderts begann die Seidenstrasse an Bedeutung zu verlieren. Einige der Routen bleiben aber auch heute noch für den interregionalen Handelsverkehr wichtig.