Verfolgt

19.08.2022

Sie geht einem Mann entgegen, der nicht ich bin.

Ich sehe sie überall, im Widerschein der Gläser der Schaufenster, in der Flamme des Feuerzeuges, zwischen den Buchseiten, auf einem Werbeplakat während ich durch die Altstadt schlendere, unter der Rheinbrücke im grünlichen Wasser spiegelnd, auf dem nassen Asphalt nach dem langersehnten Sommerregen in den Pfützen schwimmend, zwischen den Menschen auf der Strasse. Manchmal sehe ich sie im Grund des ausgetrunkenen Rotweinglases, im Bodensatz hockend. Ich sehe sie am Morgen in einer der Ecken des Spiegels, wenn ich mich nass rasiere. Ich sehe sie im Uhrglas, im Rückspiegel des Autos, auf dem Bildschirm beim schreiben. Auf die eine und andere Weise ist sie immer da, schaut in die Welt hinein, schaut mich an, beobachtet mich.
Was machst du hier?, rufe ich. Und sie verschwindet sofort. Sie verfolgt mich, gleichzeitig aber entzieht sie sich mir. Ich sitze an der Bar im Stammlokal, spüre ihren Atem in meinem Nacken. Ich wende mich um, sie ist nicht da, keiner steht hinter mir. Aber ich weiss, es war ihr Atem, der Atem einer Frau vergisst man nicht so schnell, er ist unverwechselbar.

An anderen Tagen hörte ich ihre Stimme, ich könnte mit ihr sprechen. Ich verstehe aber keine klaren Sätze, es ist nur der Klang ihrer Stimme, so wie es ihr Atem war. Gespenst, Wunsch oder Hoffnung?