Warschau Polen

14.12.2022

Eigentlich bin ich nicht der Reisende, der Richtung Norden fliegt, aber die Preise von Direktflügen in der Low-Season, lassen auch mich nördliche Destinationen entdecken.
Ich fliege für knapp 20 € direkt nach Warschau, flächenmässig und nach Einwohnerzahl die grösste Stadt Polens und seit 1596 auch deren Hauptstadt. Der knapp zweistündige Flug bringt mich nach Breitengraden in meine bis heute nördlichste besuchte Stadt unserer schönen Welt. Von Warschau und Polen selber weiss ich nicht viel. Ein paar Namen von Politikern, Fussballspieler und einem Papst. Etwas Geschichte und irgendwo tief in der Seele eingebrannt Bilder eines Dokumentarfilmes über das Warschauer Ghettos. Ein Besuch einer Stadt, den ich nicht vorbereite, mich leiten lasse durch den Strom der Besucher, der Einwohner und meinen Gefühlen die richtigen Orte zu finden.
Mit einer moderner S-Bahn fahre ich vom Flughafen ins Zentrum und von dort mit dem Bus bis zu meiner Unterkunft. Diese liegt nur 20 Fahrminuten vom Zentrum, ist aber ohne Leben. An der Ausfahrstrasse zum Maarket, wo sich im Niemandsland die grossen Anbieter von Obi bis Ikea tummeln, liegt in einer sehr ruhigen Wohngegend mein Appartement. An der Hauptstrasse ein McDonalds und ein Pizza-Take-away mit einem Tisch, sonst nichts. Sogar einen möglichen Supermarkt muss ich suchen. Schade, ich liebe die Aussenviertel mit seinen landestypischen Beizen, Cafés und Läden. Aber hier in Warschau scheint sich alles im Stadtzentrum abzuspielen.

Die Altstadt ist das historische Zentrum. Sie wurde nach der völligen Zerstörung während des Zweiten Weltkrieg von 1949 bis 1955 weitgehend originalgetreu wieder aufgebaut und 1980 in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Die Stadt liegt über einer steilen Böschung oberhalb der Weichsel hinter und neben der Burg der masowischen Fürsten. Nach dem Ersten Weltkrieg, als Warschau wieder die Hauptstadt des unabhängigen polnischen Staates wurde, schmückten ortsbekannte Maler die Bürgerhäuser rund um den Marktplatz. Stadtmauern wurden renoviert, das Königsschloss zur Residenz des Staatspräsidenten umgewandelt.
Schulkinder schlendern mit Touristen durch die Gassen. Die Häuser bieten herrliche Fotomotive. Die Restaurants sind zwar typisch, aber so auf polnisch getrimmt, wie es sich die Touristen vorstellen. So auch die Preise, welche bis zu dreimal höher sind als ein paar Kilometer ausserhalb der Altstadt. Sogar beim Geldwechsel wird der Tourist mit stolzen 20 % abgezockt.
Nach dem Besuch der Altstadt, wo ich vergebens auf Hinweise auf das Warschauer Ghetto warte, trete ich beim Verlassen wenigstens auf eine im Boden eingelassene Gedenktafel, welche den Verlauf der damaligen Mauer anzeigt. Hier, zwischen der Aussenwand einer der zahlreichen Kirchen und einem Bürgerhaus, war ein Teil der Absperrung. Durch Wohnhäuser aus der Zeit der UdSSR und wie sie in allen ehemaligen, von Russland geprägten sozialistischen Staaten zu finden sind, gelange ich auf eine breite Allee. Riesige Wohn- und Büroblocks aus der Sowjetzeit wechseln sich mit modernen Bauten ab. Die Wohnviertel sind auch hier ohne Leben, keine Kneipen, keine Restaurants, fast keine Einkaufsläden. Wo gehen die für ihren Wodka bekannten Polen nach der Arbeit ihr Glas trinken?

Vor mehr entdecke ich auf einem Platz mit Ständen mit frischen Blumen und Weihnachtsbäumen. Dahinter eine alte Markthalle! Endlich, endlich habe ich Leben entdeckt! Vor der Markthalle eine lange Menschen Schlange. Alle wollen in die Apotheke. Durch eine kleine Tür trete ich in die Markthalle und ich fühle mich zu Hause. Hier lernt der Besucher das Leben der Einwohner kennen. Die Marktstände verkaufen, was die Bauern aus der Umgebung in die Stadt bringen. Frische Eier, viel Käse, Wintergemüse, Fleisch, winterfeste Unterwäsche, Brot, Trockenfrüchte und geräucherter Fisch. Aber auch hier finden sich zwischen den Ständen mit landestypischen Produkten der herrschenden kalten Jahreszeit, Erdbeeren, Waldbeeren in kleinen Schalen zu horrenden Preisen. Wenn ich mir die Marktbesucher so ansehe, wer soll sich für solche luxuriösen Artikel aus südlichen Ländern interessieren und sie sich leisten können?
Auf meinen Spaziergängen durch Warschau habe ich keine ausländische Bewohner gesehen, aber hier auf dem Markt, ganz hinten links, eine Abteilung mit Kleidern, Nagelstudios und Plastik mit nur chinesischen Verkäufern!

Gleich neben der Markthalle hatte ich ein Restaurant entdeckt, wie ich sie aus anderen sowjetische geprägten Städten kenne. Ältere Männer, jeder an einem eigenen Tisch, schlürfen ihre Suppe, der Raum ist ungeheizt, einfach aber freundlich dekoriert. Das Personal junge Frauen, welche freundlich bedienen, auch endlich jemand, der ohne Probleme englisch spricht und versteht. Eine herrliche Gemüsesuppe gibt es heute als Vorspeise, gefolgt von paniertem Fisch mit frischen Karotten und Kartoffel-Purée. Das Essen schmeckt, vor allem das frische Gemüse. Dazu ein Glas portugiesischen Wein, der viermal preiswerter ist als der einheimische.

Die Markthalle und die Verpflegung haben sich gelohnt. Zwar nicht so richtig aufgewärmt, wage ich mich weiter auf meinen Streifzug durch die Aussenviertel Warschaus. Es wird früh finster. Ich finde zurück in die Nähe der Altstadt und von hier ohne Probleme zu meinem Bus. Bevor in mein Wohnviertel zurückkehre kaufe ich Wein und Brot und mit dem in der Markthalle gekauften geräucherten Schafskäse geniesse ich ein herrliches Abendessen gleich neben der wärmenden Heizung.