Warschau Polen
Eigentlich
bin ich nicht der Reisende, der Richtung Norden fliegt, aber die
Preise von Direktflügen in der Low-Season, lassen auch mich
nördliche Destinationen entdecken.
Ich fliege für knapp 20 €
direkt nach Warschau, flächenmässig und nach Einwohnerzahl die
grösste Stadt Polens und seit 1596 auch deren Hauptstadt. Der knapp
zweistündige Flug bringt mich nach Breitengraden in meine bis heute
nördlichste besuchte Stadt unserer schönen Welt. Von Warschau und
Polen selber weiss ich nicht viel. Ein paar Namen von Politikern,
Fussballspieler und einem Papst. Etwas Geschichte und irgendwo tief
in der Seele eingebrannt Bilder eines Dokumentarfilmes über das
Warschauer Ghettos. Ein Besuch einer Stadt, den ich nicht vorbereite,
mich leiten lasse durch den Strom der Besucher, der Einwohner und
meinen Gefühlen die richtigen Orte zu finden.
Mit einer moderner
S-Bahn fahre ich vom Flughafen ins Zentrum und von dort mit dem Bus
bis zu meiner Unterkunft. Diese liegt nur 20 Fahrminuten vom Zentrum,
ist aber ohne Leben. An der Ausfahrstrasse zum Maarket, wo sich im
Niemandsland die grossen Anbieter von Obi bis Ikea tummeln, liegt in
einer sehr ruhigen Wohngegend mein Appartement. An der Hauptstrasse
ein McDonalds und ein Pizza-Take-away mit einem Tisch, sonst nichts.
Sogar einen möglichen Supermarkt muss ich suchen. Schade, ich liebe
die Aussenviertel mit seinen landestypischen Beizen, Cafés und
Läden. Aber hier in Warschau scheint sich alles im Stadtzentrum
abzuspielen.
Die
Altstadt ist das historische Zentrum. Sie wurde nach der völligen
Zerstörung während des Zweiten Weltkrieg von 1949 bis 1955
weitgehend originalgetreu wieder aufgebaut und 1980 in die
UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Die Stadt liegt über
einer steilen Böschung oberhalb der Weichsel hinter und neben der
Burg der masowischen Fürsten. Nach dem Ersten Weltkrieg, als
Warschau wieder die Hauptstadt des unabhängigen polnischen Staates
wurde, schmückten ortsbekannte Maler die Bürgerhäuser rund um den
Marktplatz. Stadtmauern wurden renoviert, das Königsschloss zur
Residenz des Staatspräsidenten umgewandelt.
Schulkinder
schlendern mit Touristen durch die Gassen. Die Häuser bieten
herrliche Fotomotive. Die Restaurants sind zwar typisch, aber so auf
polnisch getrimmt, wie es sich die Touristen vorstellen. So auch die
Preise, welche bis zu dreimal höher sind als ein paar Kilometer
ausserhalb der Altstadt. Sogar beim Geldwechsel wird der Tourist mit
stolzen 20 % abgezockt.
Nach dem Besuch der Altstadt, wo ich
vergebens auf Hinweise auf das Warschauer Ghetto warte, trete ich
beim Verlassen wenigstens auf eine im Boden eingelassene Gedenktafel,
welche den Verlauf der damaligen Mauer anzeigt. Hier, zwischen der
Aussenwand einer der zahlreichen Kirchen und einem Bürgerhaus, war
ein Teil der Absperrung. Durch Wohnhäuser aus der Zeit der UdSSR und
wie sie in allen ehemaligen, von Russland geprägten sozialistischen
Staaten zu finden sind, gelange ich auf eine breite Allee. Riesige
Wohn- und Büroblocks aus der Sowjetzeit wechseln sich mit modernen
Bauten ab. Die Wohnviertel sind auch hier ohne Leben, keine Kneipen,
keine Restaurants, fast keine Einkaufsläden. Wo gehen die für ihren
Wodka bekannten Polen nach der Arbeit ihr Glas trinken?
Vor
mehr entdecke ich auf einem Platz mit Ständen mit frischen Blumen
und Weihnachtsbäumen. Dahinter eine alte Markthalle! Endlich,
endlich habe ich Leben entdeckt! Vor der Markthalle eine lange
Menschen Schlange. Alle wollen in die Apotheke. Durch eine kleine Tür
trete ich in die Markthalle und ich fühle mich zu Hause. Hier lernt
der Besucher das Leben der Einwohner kennen. Die Marktstände
verkaufen, was die Bauern aus der Umgebung in die Stadt bringen.
Frische Eier, viel Käse, Wintergemüse, Fleisch, winterfeste
Unterwäsche, Brot, Trockenfrüchte und geräucherter Fisch. Aber
auch hier finden sich zwischen den Ständen mit landestypischen
Produkten der herrschenden kalten Jahreszeit, Erdbeeren, Waldbeeren
in kleinen Schalen zu horrenden Preisen. Wenn ich mir die
Marktbesucher so ansehe, wer soll sich für solche luxuriösen
Artikel aus südlichen Ländern interessieren und sie sich leisten
können?
Auf
meinen Spaziergängen durch Warschau habe ich keine ausländische
Bewohner gesehen, aber hier auf dem Markt, ganz hinten links, eine
Abteilung mit Kleidern, Nagelstudios und Plastik mit nur chinesischen
Verkäufern!
Gleich neben der Markthalle hatte ich ein Restaurant entdeckt, wie ich sie aus anderen sowjetische geprägten Städten kenne. Ältere Männer, jeder an einem eigenen Tisch, schlürfen ihre Suppe, der Raum ist ungeheizt, einfach aber freundlich dekoriert. Das Personal junge Frauen, welche freundlich bedienen, auch endlich jemand, der ohne Probleme englisch spricht und versteht. Eine herrliche Gemüsesuppe gibt es heute als Vorspeise, gefolgt von paniertem Fisch mit frischen Karotten und Kartoffel-Purée. Das Essen schmeckt, vor allem das frische Gemüse. Dazu ein Glas portugiesischen Wein, der viermal preiswerter ist als der einheimische.
Die
Markthalle und die Verpflegung haben sich gelohnt. Zwar nicht so
richtig aufgewärmt, wage ich mich weiter auf meinen Streifzug durch
die Aussenviertel Warschaus. Es wird früh finster. Ich finde zurück
in die Nähe der Altstadt und von hier ohne Probleme zu meinem Bus.
Bevor in mein Wohnviertel zurückkehre kaufe ich Wein und Brot und
mit dem in der Markthalle gekauften geräucherten Schafskäse
geniesse ich ein herrliches Abendessen gleich neben der wärmenden
Heizung.