Westküste Algeriens

19.05.2023

Verlässt der Reisende Oran auf der Küstenstrasse trifft er nach wenigen Kilometer auf den Badeort Aïn El-Türck mit seinen verschiedenen Badebuchten. In der Nebensaison und nicht an einem Wochenende liegen die Strände ruhig vor sich und die Wellen schlagen leise an die Sandstrände. Die Buchten sind überbaut mit Ferienhäusern, die meisten Geschäfte sind geschlossen und ich will mir gar nicht vorstellen, wie es im Hochsommer hier aussieht. Bereits ein Wochenende Ende Mai hinterlässt einen schmutzigen Strand voller Abfälle. Nicht einmal die Möwen können mit den Essensresten der Picknicke vom vergangenen Freitag.
Die unterschiedlichen Orte erinnern mich an abseits der Touristenströme liegenden Badeorte Andalusiens in den 1980er Jahren. 

Bald heisst es die Küste verlassen, kein direkter Weg führt entlang des Meeres. Die Fahrt durch die fruchtbare Hügellandschaft mit seinen unzähligen Kurven entschädigt den Reisenden mit seiner einmaligen Landschaft und Ausblicken auf die grünen Täler und das Mittelmeer.
Ob man bei klarem Wetter die knapp 200 Kilometer entfernte Küste Almerias sehen kann? Die Strassenschilder warnen nicht nur vor den Kurven, sondern auch vor Schafherden und Wildschweinen. Letztere haben wir nicht angetroffen.
Bei Aïn Temouchent verlassen wir erneut die Hauptstrasse und fahren erneut an die Küste, nun von Beni Saf. Seine Existenz verdankt der Ort den Eisenmineralien, die seit der Antike in der Umgebung gefunden wurden. Die Stadt wurde 1876 als Verschiffungshafen. Weitere Produkte der Stadt sind Zink, Marmor und Onyx, auch die Fischereiindustrie ist umfangreich. Die Erdgaspipeline Medgaz verbindet Beni Saf mit der Playa del Perdigal in Almería, Spanien. Die nächstgelegene aktive Mine, Rhâr el-Baroud, liegt 3 Kilometer südlich, und Beni Saf ist durch Förderbänder und lange Tunnels mit den umliegenden Erzlagerstätten verbunden.
Mitten in der Stadt steht als Monument eine alte verrostete Anlage.

Auf einer steilen Nebenstrasse verlassen wir den Ort und geniessen die Fahrt durch die Landschaft und die Ausläufer des Tarara Gebirges bis nach Honaine zu Füssen des Tigra Berges, das zur Zeit von El Andalus für das Königreich Tlemcen von grosser Bedeutung war und den befestigten Hafen am Mittelmeer bildete. Das Hafenbecken ist auf zwei Seiten natürlich durch steil abfallende Felsberge geschützt. Vor dem Hafen liegen kleine Inselgruppen und von den umliegenden Bergen bringt der Tafna Fluss Wasser in den Ort. Vom Hafen bis zu den Ausläufern des Gebirges verliefen dicke Wehrmauern, durchsetzt mit Wachtürmen. Teile der damaligen Anlage stehen heute noch wie die Fischfaktoreien im Tal, welche sicher bis auf die Phönizier zurück zu führen sind. Der Ort wurde bereits im 12. Jahrhundert vor Christus von den Phöniziern gegründet und "Gypsaria-Portos" oder das Haus des Gipses genannt. Der Ort war damals bereits bekannt für seinen Reichtum an Marmor, unter anderem auch der seltene Schwarze.
Die Überreste der Stadtmauer von Hone aus der Blütezeit der Almohaden sind heute Zeugen vergangener Pracht und Macht und wie wichtig der Ort für die Handelsströme zwischen den beiden Ufern des Mittelmeers war.

Der Gründer der Almohaden-Dynastie, Ibn Ali El Koumi, der sich später in Marrakesch niederliess, wurde in Tajra geboren, einem nahen Hügel mit Blick auf Honaïne, zwei Kilometer westlich. Im Jahr 1162 schlossen sich Oran und Honaïne zusammen, um die sagenumwobenen hundert Schiffe unter dem Kommando von Abd El Moumen Ben Ali zu bauen.
Hone beherbergte den Hafen der Meriniden, der später zum wichtigsten Hafen der Almohaden in Nordafrika wurde und einer der beiden Häfen der Tlemcen-Zianiden bildete. Der Hafen wurde 1534 nach einer kurzen spanischen Besetzung teilweise zerstört. Honaine erlebte in seiner Geschichte die Ankunft einer grossen Zahl maurischer Flüchtlinge, welche nach dem Fall des Königreiches Granada im Jahre 1492 eine neue Heimat in Nordafrika suchten und über den kurzen Seeweg von Almeria nach Hone flüchteten.

Steil führt der Weg von der Bucht hoch in die umliegenden Gebirge. Hier waren einmal endlose Wälder, heute kahles mit Gestrüpp bewachsene Hügel. Wir fahren auf der Bergkuppe weiter Richtung Westen, vorbei an Ziegen- und Schafherden. Bewacht werden sie von einzelnen Hirten mit ihren zahlreichen Hunden. Keine Dörfer, keine Behausungen, weit und breit bis wir auf die Hauptstrasse nach Ghazaouet stossen. Der westlichste Fährhafen Algeriens wird mit einer vierspurigen Autobahn mit dem Landesinnern verbunden. Auf der rechten Seite liegt der Fischerhafen. Die Restaurants sind nur mittags geöffnet. Der Zugang zum Fährhafen wird überwacht. Einmal in der Woche in der Nebensaison überquert eine Fähre die knapp 200 Kilometer bis nach Almeria in rund 7 Stunden. Weiter westlich liegt der Frachthafen, auch hier werden Blei-, Zink- und Eisenerze verschifft. Die Eisenbahn für nur Güterverkehr führt bis zum Hafen.
Das eigentliche Städtchen liegt in der Mündung des Flusses. In der Mitte ein grösserer Platz mit zwei riesigen alten Palmen und der damaligen katholischen Kirche, welche heute als Kulturzentrum genutzt wird und eine Bibliothek beherbergt. Häuser, teilweise aus dem Ende des 19. Jahrhunderts säumen die Hauptstrasse. In zweiter Linie sind die typischen andalusischen einstöckigen Fischerhäuser mit ihren blau gestrichenen Fensterläden noch immer bewohnt. Auf dem kleinen Markt wird frisches Gemüse, die ersten Aprikosen und Pfirsiche neben frischem Fisch angeboten. Es riecht nach frisch gebackenem Brot. Wir werden freundlich gegrüsst, eingeladen, Fotos zu schiessen. Hier hätten früher viele Franzosen gelebt oder, besser erklärt, Spanier mit französischem Pass. Die französischen Kolonialbehörden waren dankbar für die spanischen Einwanderer, welche zur Ernte einreisten und später in den Minen arbeiteten. Ihre Situation wurde legalisiert, indem sie den französischen Pass erhielten und so zu Franzosen wurden. Heute sind keine Spanier, weder Franzosen im Dorf zu finden. In der Neustadt wurde ein neues, sehr nettes, sauberes, familiär geführtes Hotel gebaut, das Fort Season. Das Zimmer mit Frühstück kostet in der Nebensaison 4000 Dinar, also rund 20 €. Folgt man dem lauf des Flusses Oued Kiss erreicht der Reisende den malerischen Hafenort Marsa Ben Mehidi mit seinem langen, feinsandigen Strand. Schwimmend wären es ein paar kräftige Züge und ich wäre in Saidia, Marokko, wenn da nicht eine bewachte seit Jahren geschlossene Grenze wäre.