Carreteras secundarias
Mit
dem Beginn, mich von meinen angehäuften persönlichen Sachen zu
trennen, wanderten ein paar Kisten mit Büchern in spanischer Sprache
zu meinen Kindern in Granada. Ich lebte viele Jahre in Südspanien
und für mein neues Leben wollte ich mit dem Kapitel Spanien
schliessen. Seit ein paar Jahren ist meine Kurzreise zu meinen
Kindern immer die letzte Reise nach Andalusien. Aber wie ein
spanisches Sprichwort richtig erklärt, sag nie das letzte Mal, es
ist immer das vorletzte Mal.
Bei
meinem letzten Besuch fand ich die Mehrzahl meiner Bücher im
Schlafzimmer meines Sohnes vor und ich erlaubte mir, deren Titel und
Autoren nochmals durchzugehen. Dabei stach mir ein Buch ins Auge,
welches mir bereits im Jahre 1996 in der Buchhandlung aufgefallen
ist.
Damals...
Ich kenne das Jahr, da auf der ersten Seite das Datum 17.06.1996 mit
meinem Kürzel steht, Datum, wo ich das Buch zu Ende gelesen habe.
Erschienen ist es im Verlag Anagrama aus Barcelona im gleichen Jahr.
Damals
ist mir das Buch aufgefallen wegen des Fotos auf dem Umschlag. Den
Autor Ignacio Martinez de Pison kannte ich nicht, aber den Citroën
DS, dahinter eine Ente, beide gehören zu meinen Lieblingsautos.
Beide Autos stehen am Wasser, dahinter geankerte Boote und ein
Segelboot, das in den Hafen läuft. Der Vater mit Baskenmütze öffnet
den Wagen und ein kleiner Junge mit kurzen Hosen und langen Socken
rennt um den Tiburón, wie er in Spanien liebevoll genannt wurde. Auf
den ersten Blick könnte ich der Junge sein, das Foto erinnert mich
an ein Bild von meinem ersten Schultag im Jahre 1968, da trug ich
auch ein weisses Hemd mit kurzen Hosen, langen Strümpfen und
Sandalen und frischt gekämmt.
So kaufte ich das Buch aufgrund des
Titelbildes. Den Titel "Carreteras secundarias" hatte ich damals
nicht grosse Bedeutung geschenkt, aber der Titel "Nebenstrassen"
hat mich wohl ein halbes Leben lang begleitet und heute tragen meine
Webseiten diesen Namen.
Wieso der Citroën DS, die Göttin, von den Spaniern als Hai, Tiburón, bezeichnet wird, entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht mit offener Motorhaube gleicht er einem Hai mit offenem Mund. Der Citroën DS kann als das revolutionärste Auto aller Zeiten bezeichnet werden. Diese Göttin auf Rädern war und ist nicht nur eines der schönsten Autos, die je entworfen wurden, sie war auch ein Auto, das dem Markt zwanzig Jahre voraus war. Ein Auto mit radikalen Innovationen, die auch heute noch nicht in allen Autos Standard sind. Nach meiner Ente, der 2CV, kaufte ich mir einen DS aus zweiter Hand. Dunkelblau mit den neueren, sich der Kurve anpassenden Scheinwerfern. Ein herrliches Fahrzeug, welches viel Spass beim Fahren brachte und ich dann später gegen einen CX Break umgetauscht habe. Heute liegen die Preise für die Göttinen bei rund 20'000 Euros und mehr.
Der
heranwachsende Felipe und sein Vater leben Hand in Hand und sind
aufgrund der Tätigkeiten des Vaters gezwungen, die Städte und ihre
Adressen häufig zu wechseln. Ihr einziger Besitz ist der Citroën
Tiburón und ein tragbarer Fernseher, mit dem sie 1974, am Ende des
Franco-Regimes durch Spanien reisen. Sie machen sich auf die Suche
nach etwas, wissen aber selbst nicht, was sie genau zu finden hoffen.
Felipe
lernte seine Mutter nie kennen, da sie ein paar Jahre nach seiner
Geburt verstarb. Sein Vater hat oft neue Freundinnen, die für Felipe
nicht zum Bild seiner Mutter passen. Sein Leben besteht aus einem
ständigen Streifzug durch verlassen wirkende touristische Siedlungen
in der Nebensaison. Bei jedem Aufenthalt bringt ein Ereignis immer
Aspekte und Einstellungen im Leben von Felipes Vater ans Licht, die
er noch nicht verstand oder nicht verstehen will. Durch Geld
verdienen für das tägliche Leben mit eigentümlichen Methoden wird
der Vater immer wieder in Situationen verwickelt, die sie zwingen,
ihren Weg unfreiwillig fortzusetzen.
Als
sie gezwungen sind, ihre Reiseroute zu ändern und die Küste zu
verlassen, verändert sich ihr Leben radikal. Der Vater kommt ins
Gefängnis und Felipe zu seinem Onkel und Grossmutter
väterlicherseits. Nach der Entlassung finden sie Unterkunft bei
einem guten Freund in Zaragoza und der baldige Tod der reichen
Grossmutter wendet das Blatt der beiden in Reichtum und Ansehen. Das
Buch endet in einem der Küstenorte im Sommer. Felipe langweilte sich
wie noch nie am Meer, aber wenigstens war sein Vater glücklich.
Bastante feliz.
Der Roman wurde nicht ins Deutsche übersetzt, dafür zweimal verfilmt.