Don't Stop The Dance
Vinyl ist ein weit verbreiteter Begriff für Schallplatten oder das Material, aus dem sie hergestellt werden. Ich bin mit Musik aus dem Radio und von Schallplatten aufgewachsen. Meine ältere Schwester kaufte vor allem die kleinen mit 45 Umdrehungen, die waren billiger als die grossen mit 33, und so hatte sie das Lied, das sie wollte, und nicht noch mehr Lieder desselben Sängers, die ihr nicht gefielen. Zu Weihnachten erschienen dann die Langspielplatten mit einer Mischung der Musik des zu Ende gehenden Jahres und waren immer ein beliebtes Geschenk.
Ich erbte nicht nur die Sammlung deutscher Schlager, sondern auch den Plattenspieler, dessen Deckel gleichzeitig als Lautsprecher diente. Der Plattenteller war für die Grösse 45 ausgelegt und hatte bei den dünnen LP's seine Abspielprobleme, vor allem die ersten Lieder, wenn die Platten sehr dünn gepresst waren.
Meine Sammlung war sehr vielfältig und umfangreich. Als ich nach Spanien zog, konnte ich nicht alle mitnehmen, der Rest wurde auf dem Flohmarkt an der Reuss in Luzern verkauft, so wie die letzten Platten Jahrzehnte später auf dem Flohmarkt in Basel für wenig Geld verkauft wurden. Man sollte sich darüber keine Gedanken machen, geschweige denn eine Rechnung aufmachen. Jede dieser Platten war zu ihrer Zeit wichtig und hat einen Teil meines Lebens geprägt.
In meinem Alter ist es vielleicht normal, sich gerne an die Vergangenheit zu erinnern. Vielleicht ist es auch eine Übung für das Gedächtnis. Namen aufzurufen, die wie die Musik einmal wichtig waren in meinem Leben. Sich an Gesichter zu erinnern, an Begebenheiten und persönliche Erlebnisse mit dieser Person. Von vielen kenne ich Vor- und Nachnamen, von anderen nur den Vornamen, von wenigen habe ich den Namen vergessen.
Bryan
Ferry & The Roxy Music, vor allem aus dem Jahr 1985, ein Jahr vor
meinem Umzug nach Spanien, spielten damals eine grosse und wichtige
Rolle in meinem Leben. Damals gab es noch keine Handys, nur
Festnetztelefone. Man wusste auch nicht, wer anrief. Als Bestätigung
für den Anrufer nannte man den eigenen Namen. Als Kind Vor- und
Nachname, als Erwachsener nur der Nachname. In der Zeit, von der ich
spreche, war es Mode, zu Hause nur den Vornamen zu nennen oder ein
einfaches Hallo in den Hörer zu rufen.
Auf
mein Hallo bekam ich keine Antwort, aber ich hörte den Song Don't
Stop The Dance von Bryan Ferry's Album Boys and Girls. Und mit den
letzten Textzeilen No more music, don't stop the dance brach die
Verbindung ab. Was für ein Lied, was für eine Botschaft! Aber von
wem?
Mama
sagt: "Alles, was zählt, ist die Wahrheit."
Mama
says, "Truth is all that matters
Lügen
und täuschen ist eine Sünde
Lying
and deceiving is a sin
Durch
eine Welt treiben, die zerrissen und zerfetzt ist
Drifting
through a world that's torn and tattered
Jeder Gedanke, den ich habe, hat keine Bedeutung
Every
thought I have don't mean a thing
Mama
sagt: "Liebe ist alles, was zählt."
Mama says, "Love is
all the matters
Schönheit sollte tiefer gehen als Ihre
Haut"
Beauty should be deeper than your skin"
Für
den Moment leben, Lippen und Wimpern
Living for the moment, lips
and lashes
Werde ich jemals wieder meinen Weg finden?
Will
I ever find my way again?
Hör
nicht auf, hör nicht auf mit dem Tanz
Don't stop, don't stop the
dance
Keine Musik mehr
No more music
Hör nicht auf
zu tanzen
Don't stop the dance
Ich habe das Lied bis heute immer wieder gehört. Die Musik faszinierte mich, der Text gab mir Rätsel auf. Ich hockte vor dem Telefon und wartete darauf, dass es wieder klingelte. Das Telefon stand stumm vor mir. Daneben drehte sich der Plattenspieler mit dem nur einen Song. In Gedanken ging ich alle meine Freunde und Bekannten durch. Wer schickt mir diese musikalische Botschaft? Wer will, dass ich weiter tanze, mich weiter um den Menschen kümmere, der mich vor kurzem angerufen hat? Nicht aufzugeben, nicht zu verzweifeln, weiter zu warten und in ständiger Erwartung zu leben?
Sag der Unbekannten, dass ich warten werde, am gewohnten Ort...
Tell
her I'll be waiting
In
the usual place
With
the tired and weary
And
there's no escape… Slave to Love!
Bryan Ferry, geboren am 26. September 1945 in Washington, England, ist ein britischer Sänger und Songwriter. Bekannt wurde er in den 1970er Jahren als Gründungsmitglied und Sänger der Art-Rock-Band Roxy Music und für seinen vibratolastigen Gesang. Nach der Auflösung von Roxy Music 1983 veröffentlichte Ferry 1985 mit der LP Boys and Girls eines seiner erfolgreichsten Soloalben, ein perfektes und filigran ausgearbeitetes Popalbum.
Das Lied Don't Stop The Dance begleitet mich auch 40 Jahre nach seiner Veröffentlichung, und ich höre mir das ganze Album immer wieder gerne auf Spotify an. Damals habe ich zum ersten Mal Hermann Hesses Demian gelesen. Wir beide trugen und tragen das Zeichen bis heute. Sie ist aus meinem Leben verschwunden, so wie sie in mein Leben getreten ist und mich lieben gelehrt hat, mich denken gelehrt hat, mich mich selbst verstehen gelehrt hat.
Geblieben ist ihr Name, Barbara, geblieben in meiner Erinnerung ihr Gesicht, ihre blauen Augen und ihr langes, blondes, gewelltes Haar.