Tlemcen Besichtigung Teil 1
Afrikas Granada, wie die Stadt oft genannt wird, liegt am Fusse der Ausläufer des Tellatlas und vor der fruchtbaren Nanaya-Ebene in einer lieblich anmutenden, gar nicht afrikanisch wirkenden Landschaft. Keine zweite Stadt Algeriens kann sich mit der Buntheit, dem bewegten Volksleben, der Poesie und einer geschichtlichen Vergangenheit mit Tlemcen vergleichen. Die Stadt weist wie überall im Maghreb neue Stadtteile und Wohnviertel ohne jeglichen Reiz. Doch in der Altstadt findet der Besucher andalusische Atmosphäre, Stimmung und herrlich restaurierte Monumente. Mit Granada hat Tlemcen ausser den Monumenten nicht viel zu tun. Einige Stadtteile erinnern mich an den Albaizin Bajo, als dort noch nichts restauriert wurde. Nur die Steinplatten der Fussgängerzone sind die gleichen rotweissen wie in Teilen der Stadt der Alhambra.
Mein
morgentlicher Spaziergang führt mich durch den Souk hin zu
einer imposanten Markthalle. Lediglich der obere Stock wird teilweise
als Obst- und Früchtemarkt genutzt. Die restlichen Stände stehen um
die Markthalle und bieten alles, was die Natur zu dieser
Jahreszeit zu bieten hat. Äpfel, Orangen, Datteln, frische
Artischocken, Blumenkohl, weitere Kohlarten und viele frische
Gewürze. Keiner stärt sich, dass ich Fotos schiesse, nein, im
Gegenteil, ich werde höflichst eingeladen von ihrem Standen mit
ihnen als Verkäufer Fotos zu machen. Ich werde von überall
freundlich willkommen geheissen und vor allem von älteren Männern
werde ich höflich mit "Salam alikum" begrüsst. Respekt, Anstand
oder werde ich mit jemanden verwechselt? Ich weiss es nicht.
Da
heute der Neujahrstag des Berberkalender ist, man schreibt das Jahr
2973 sind Verwaltung, Post und Banken geschlossen. Dazu zählen auch
die Geldautomaten.
Gleich hinter dem Markt befindet sich die Grosse Moschee. Gegründet im Jahre 1082 unserer Zeitrechnung, wurde sie durch verschiedene Herrscher bis zur heutigen Grösse erweitert und verschönert. Der Gebetsraum ist durch zwölf Arkaden gerichtet zur Qiblamauer unterteilt. Dadurch entsteht ein endloser Raum. Das zur Moschee gehörende Minarett ist 35 Meter hoch und nach andalusischen Vorbildern erbaut. Weiter schlendere ich durch die Gassen und mache meine Fotos von Türen, Fenstern und Hausfassaden.
Ich gönne mir einen frischgepressten Orangensaft, bevor es mit dem Auto zu den nur 7 Kilometer östlich gelegener Schlucht El-Ourit, geht. Über 200 Meter hohe rote Felswände steigen aus dem grünen Tal. Im Flussbett stehen Feigen-, Kirschen- und Granatapfelbäume. Daneben stehen Weinreben, Äpfel-, Mandel-, Aprikosenbäume und Mispeln. Hoch oben schwingt sich die Brücke der Eisenbahn. Die Wasserfälle sind heute spärlich, es hat schon lange nicht mehr geregnet. Es wird mir erzählt, dass hier früher im Winter auch Schnee gelegen ist.
Weiter fahren wir vorbei an Olivenhainen zum Dorf Ain-Fezza und zweigen ab auf die Bergstrasse, welche hoch zu der Tropfsteinhöhle Beni Add führt. Ich bin eigentlich kein Freund von Höhlen, aber was ich hier gesehen habe, gehört zum Schönsten, was es überhaupt gibt! Der unterirdische Komplex ist riesig. Er besteht aus mehreren grossen Kammern. Eindrucksvoll! Die Höhle gehört sicher zu den wichtigsten Naturmuseen der Welt. Sie erstreckt sich über 700 Meter mit einer Tiefe von 57 Meter. Seine vulkanischen Wände verbergen viele Geheimnisse mit Kalksteinkonkretionen, die Stalaktiten und Stalagmiten mit den unterschiedlichsten und schönsten Formen zeichnen.
Auf der Rückfahrt durch die mit Büschen bewachsenen Hügel denke ich automatisch wie damals, als sogar Menschen in den Höhlen hausten, das Leben wohl war. Die Gedanken und Träume werden von der Gegenwart auf der Hauptstrasse weiter zum Dorf El Eubad, am Berghang gelegen, verdrängt. Das Dorf erinnert mich an Pampaneira in den Alpujarras von Granada. Weissgekalkte Häuser, steinerne Wege und auf dem einzigen ebenen Platz steht keine Kirche, sondern der sakrale Komplex des Sidi Bou Mediene. Das ist ein Mystiker aus dem damaligen Osmanischen Reich, der hierher zum Beraten und zum Sterben kam. Die vier Hauptgebäude liegen dicht beieinander auf verschiedenen Ebenen. Unten ist der Wohnbereich, ein ehemaliger königlicher Palast, mit einer herrlichen Aussichtsterrasse mit Wasserbecken, Garten mit Brunnen und einem hauseigenen kleinen Hammam. Das Mausoleum befindet sich darüber und besteht aus einem kleinen gekachelten Hof mit einem alten Ziehbrunnen. Das Dachgewölbe wird getragen von vier Marmorsäulen, die wohl von einer römischen Ruine stammen. In der Grabkammer stehen die Särge von Sidi Bou Mediene und seinem Begleiter Side Abdelsalam. Die Pilger schöpfen Wasser aus dem Brunnen, füllen es in Flaschen und mit der Hilfe des anwesenden Imam wird das Wasser geweiht. Brennende Kerzen umrunden den Brunnen. Oberhalb des Mausoleums befindet sich die Moschee. Eine steile Treppe führt zum mit einer Bronzeplatte beschlagenen Doppelportal aus Zedernholz. Die Ziselierarbeit wurde von andalusischen Handwerkern angefertigt und erinnert mich an die Tore des Königspalastes in Fez. Das Gewölbe erinnert mich gleich an die vorher besichtigte Tropfsteinhöhle. Die Wände sind verziert aus Stuck und geometrischen Mosaiken aus buntfarbigen Kacheln. Die Moschee wird nicht nur vom Minarett überragt, sondern durch eine steile Treppe und durch ein kleines Tor gelange ich in die Medersa. Noch heute wohnen Studenten in den Räumen und lehren den Koran. Hier hat zu seiner Zeit bereits der berühmte Ibn Khaldoun nicht nur Theologie, sondern auch Mathematik und Astronomie gelehrt. Von der Medersa aus kann man das mit bunten Kacheln geschmückte Minarett bewundern, sowie die Kuppel mit seinen zwölf Flächen. Der ganze Komplex wurde in den vergangenen Jahren säuberlich restauriert.
Für den heutigen Tag steht noch eine Sehenswürdigkeit, etwas ausserhalb der Stadt auf dem Programm, Mansourah. Die noch teilweise stehenden Stadtmauern weisen einen Umfang von 4 Kilometer auf. Im Inneren dieser Einfriedung sind die Mauern der Moschee besser erhalten und verraten dem Besucher die Grösse des Gebetshauses. Das Minarett, 40 Meter hoch, ist wie durch einen Blitz aufgespalten. Man erzählt sich, dass beim Bau des Minarettes zwei Architekten beteiligt hätten, ein Muslim und ein Jude. Der Teil, der dann mit den Jahren eingestürzt ist, war natürlich die Hälfte des jüdischen Baumeisters. Der noch stehende Teil wurde liebevoll und detailgetreu restauriert. Als ich die Treppe zum Minarett hochstieg, war die Ähnlichkeit der Minarette Koutoubia in Marrakesch, Hassan in Rabat und Giralda in Sevilla nicht zu leugnen. Man sieht auf den ersten Blick, dass alle vier den gleichen Vater haben. Leider war es heute bewölkt, aber mit bestrahlt von der untergehenden Sonne muss das Minarett noch imposanter erscheinen.
Zurück
in der Stadt versuche ich nochmals mein Glück mit den Geldautomaten,
aber immer noch Ausserbetrieb. Morgen wird es dann wieder frisches
Geld geben. In einem einfachen Restaurant gönne ich mir eine
Fleischplatte mit Kartoffeln und geschmortes Gemüse und einem
frischen Salatteller.