Zugfahrt Cluj-Bukarest

26.01.2024

Heute geht die Reise von Cluj Napaca mit dem IC532 in die Landeshauptstadt Bukarest. Der Bahnhof in Cluj liegt knapp zwei Kilometer ausserhalb des Stadtzentrums, ist aber mit Bussen und Srassenbahn gut erreichbar. Der Bahnhof selber ist übersichtlich und die Anzeigetafeln gut verständlich. Ich habe noch Zeit und kaufe mir ein Wasser, später wird es im Zug auch einen Imbisswagen geben, so wurde mir gesagt. Um 8 Uhr fährt unser Zug ein. Eine rote Elektrolok macht den Anfang, angehängt hat sie 3 Personenwagen. Zweite Klasse, erste Klasse und nochmals zweite Klasse. Die Sitze sind nummeriert, in der ersten Klasse gibt es viel Platz, wenig Fahrgäste und Stromanschluss. Pünktlich um 08.16 Uhr wird gepfiffen, das Signal zur Abfahrt gegeben und wir humpeln, rumpeln und schütteln uns auf der breiten Gleisanlage des Bahnhofs Richtung Süden, Richtung Bukarest. Die Reise dauert etwas über 9 Stunden. Für rund 500 Kilometer viel, da mehrere grössere Baustellen. Die Fahrt in der ersten Klasse kostet 211 Lei, rund 40 €, 19% MwSt. inbegriffen.

Auf der linken Seite der Bahnlinie erstreckt sich das Industriegebiet, auf der rechten Seite die Aussenviertel der Stadt. Hier sehe ich auch den ersten Lidl. Sonst habe ich in der Stadt selber nur ein paar DM Drogeriemärkte und ein Kaufhof gesehen.
Einmal die Stadt verlassen fahren wir durch leicht hügeliges landwirtschaftlich genutztes Land. Es ist Winter, Stoppeln von Getreide, Heuballen, noch stehende vertrocknete Maisfelder zeugen von einer Reichen Getreideernte. Stellenweise wurde der schwarze, fruchtbare Boden bereits gepflügt und für die Saat vorbereitet. Doch müssen zuerst die Temperaturen steigen. Der Ententeich ist noch zugefroren. Hin und wieder sehe ich kleinere Bauernhöfe. Das Wohnhaus aus Stein mit Schieferdach, der Stall aus Holz. Teilweise stehen hölzerne Maisspeicher neben den Ställen, so wie man sie in Galizien sieht. Keine landwirtschaftlichen Maschinen sind zu sehen. Schotterwege führen zu den Gehöften und begleiten uns links und rechts der Bahnlinie. Es erinnert mich an Moldawien. Wir bummeln mit 30 km/h durch die Gegend, denn es wird emsig gebaut. Auf der ersten Stunde Fahrt bis Campia Turzii werden die alten porösen Betonschwellen und teilweise sogar noch Holzschwellen ersetzt. Neuer Schotter wird auf dem Schienentrasse verteilt. Die Ortschaft zeigt sich von weitem mit ihren Schornsteinen alter Fabriken und den Pilzen der Wasserdepot. Am kleinen Bahnhof steht der Bahnhofsvorsteher mit rotem Hut und er winkt dem Lokführer mit seiner weiss-grünen Kelle zu. Unterwegs treffen wir immer wieder auf kleinere Bahnhöfe, die da so alleine in der Pampa stehen und jedes mal das gleiche Bild, ein mit der Kelle winkende Mitarbeiter der CFR.

CFR, Caile Ferate Române, so die staatliche Eisenbahngesellschaft Rumäniens, sieht auf eine lange Eisenbahngeschichte zurück. Die älteste Bahnstrecke für den Personentransport aus dem Jahre 1857 und wurde bereits zu Zeiten des Kaisertums Österreich im Banat gebaut. Die Strecke verband die Städte Temeswar, Hatzfeld, Kikinda und Szeged auf einer Länge von 112 Kilometer. Bereits ein Jahr früher wurde die Banater Montanbahn eröffnet. Sie transportierte Steinkohle von Steierdorf (Anina) nach Basiasch.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Rumänien auf Betreiben der Sowjetunion eine Volksrepublik. In den 1950ern und 1960ern Jahren begann die Elektrifizierung der Hauptstrecken und in den 1970er Jahren wurden die letzten Dampflokomotiven ausgemustert. Nachdem sich der Eiserne Vorhang öffnete durchlebte die CFR schwierige Zeiten. Rumänien wurde 2007 Mitglied der Europäischen Union und diese förderte mit grossen Geldbeträgen den paneuropäischen Verkehrskorridor.
Gemäss den Angaben der CFR misst die Gesamtlänge des Streckennetzes 20.730 km, davon sind lediglich 3.300 km elektrifiziert und wieder davon 2.700 zweispurig. Da erst in den letzten Jahren mit der Instandsetzung der Bahnstrecken begonnen wurde, ist man heutzutage mit dem Auto schneller unterwegs als mit der Bahn.

Wir fahren mit den gewohnten 50 km/h durch eine breite Ebene. Links flimmert der Asphalt der Autobahn, rechts flimmern Solarzellen unter der Sonne. Sonst immer das gleiche Bild von landwirtschaftlichen Flächen. Kleine Bauernhöfe, Weiler, Dörfer. Fast kein Mensch zu sehen, hier mal fünf Kühe, dort eine Herde zottiger Schafe. Bei der Einfahrt im Bahnhof von Teius zähle ich über zehn Gleise. Verrostete und ausgehöhlte Dieselloks stehen bei den Depots. Moderne Triebwagen verbinden die umliegenden Städte und Dörfer. Wir sind bereits über zwei Stunden unterwegs. Hier werden nun weitere zwei Wagen angekoppelt. Im hinteren ist eine Art Bar, denn zum Essen gibt es nur Snacks und Sandwichs.

Jetzt nimmt er aber Fahrt auf! Die zusätzlichen Wagen haben ihm Antrieb gegeben und wir fahren mit stolzen 100 Sachen durch das weiterhin von Ackerbau bestehende Land. Die zügige Fahrt dauert nicht lange, wieder fahren wir durch Baustellen, teilweise wird die Linienführung geändert, neue Brücken entstehen.
Die Autobahn weicht einer Hauptstrasse. Die Wege, welche in die Dörfer führen bleiben sind weiterhin nicht asphaltiert, Schlammpisten wohl nur für 4x4 und ortskundige Fahrer geeignet. Da, ein Holzkarren auf Autorädern, gezogen von zwei langhaarigen Pferden. Hier entlang der Strecke zwischen zweitgrösster Stadt des Landes und Hauptstadt liegt das wahre, das ländliche Rumänien. Kinder warten an der Kreuzung auf den Schulbus. In einem Weiler reihen sich die Häuser um den gemeinsamen Dorfplatz. Dort wird bei 0° Wäsche zum trocknen aufgehängt. Der riesige Schäferhund bewacht nicht nur die frisch gewaschene Wäsche. Die Häuser sind nur an der Hauptfront grün gestrichen, die Seiten bleiben kahl. Ausserhalb, auf einem Hügel, liegt der fein säuberlich angelegte orthodoxe Friedhof. Am Eingang und Unterdach ein riesiger Tisch mit Bänken für die Gedenkfeiern der Angehörigen. Weite karge Täler, teilweise mit Schnee bedeckt, wechseln sich ab mit Nadel- und Laubwäldern. Aus dem Nichts plötzlich ein grösserer Mastbetrieb. Hier gackern wohl die Hühner vor ihrem Tode. Im Gegensatz Bienenkörbe, der Frühling muss farbenprächtig sein. Dunkle Wolken hängen vom Himmel hin bis zur Erde. Die Erde ruht. Sie wartet auf den Frühling, auf die ersten Wärmestrahlen und auf die Saat. Wachstum folgt während des Sommers hin bis zur Ernte, auf die der kommende Winter folgt. Nicht nur die Erde ruht, auch die Gewässer sind zugefroren, der Mensch ist zu Hause an der Wärme und erholt sich von den vergangenen drei Jahreszeiten.

Die Gegend erinnert mich an den Nachbarstaat Moldawien, erinnert mich aber auch an Franz Kafka. So muss Ottlas Landwirtschaft in Zürau ausgesehen haben, wo Kafka sich von Prag erholend und seiner Krankheit der Tuberkulose entrinnen zu versuchte. Auf seinen Spaziergängen ist er weit gegangen, 5 Stunden etwa, allein und nicht genug allein, in ganz leeren Tälern und Augen, aber nicht genug leer für Franz Kafka.
In Kafkas Briefen an F. ist ein anderer Prozess entstanden oder wird als die Geburtsstätte des Prozess betrachtet. Da sollen sich die Gelehrten streiten. Sicher ist, dass die Beziehung zu F. zeitweise störend auf das Schaffen Kafkas wirkte, gleichzeitig er aber sich die Mühe nahm, diese Störung zu anerkennen. Er wusste, dass dies all seine Produktion auszusetzen im Stande war. Seine Beziehung zu Felice gab ihm zu Beginn ein gewisses Gleichgewicht, welches aber mit der Routine zerstört wurde. Er schreibt mit Stockungen. Benötigt ungewöhnlich viel Zeit für die Abhandlung, die zeitgleich sein Heiratsantrag an F. Ist. Ein Heiratsantrag, den er in seinem tiefsten Bewusstsein eigentlich gar nicht will. So endet er den Brief auch mit der Anmerkung "ich bin im Grunde ein kalter, eigennütziger und gefühlloser Mensch". Aus dieser Qual des Wollens und Nichtwollens ist die Einzigartigkeit seiner Werke zu erklären. Unsere heutige Welt ist eine geworden, wo Angst und Gleichgültigkeit vorherrschen. Da Kafka sich ohne Bedenken ausgedrückt hat, hat er als erster das wahre Bild der Welt erkannt. Kafka war mit seinen Beobachtungen zufrieden, im gleichen Augenblick aber wunderte er sich, dass er nicht noch zufriedener war. Dies zeigte sich auch, dass Kafkas Taschenuhr anders geht als die offiziellen Uhren. Dies gab ihm eine kleines Stück Freiheit. Es ging dabei nicht um eine volle Stunde, sondern um die wenigen Minuten, die nicht mit den Zeiten der Büros und der Fabriken tickte.

Eigentlich ist es schade, dass wir von einer elektrischen Lok gezogen werden. Die Gegend und die Geschwindigkeit verlangen eine Dampflok. Ein Ungetüm das stampfend und pfeifend durch die einsame Gegend schleicht. Weder Natur noch den Bauer mit der Bäuerin wecken kann. Die Natur erwacht in ein paar Wochen, das Bauernkind erblickt die Welt im Herbst. Lediglich die Baustellen trüben die Stille der zugefrorenen Teiche, der schneebedeckten Felder und den rauchenden Kaminen.
Wir nähern uns Brasov, von den Karpaten umgeben. Die Stadt ist bekannt für ihre Stadtmauer und Bollwerke und der imposante gotische Schwarze Kirche. Eine Reise mit der Bahn ist angenehm. Ich kann schreiben, lesen, träumen und ruhen. Aber ich kann nicht stoppen und geniessen. Werde ich diesen Teil unserer Erde einmal mit dem Camper entdecken können? Gerne.
Brasov zeigt sich wie alle Städte. Wohnbauten aus einer anderen Zeit sind durchmischt mit modernen Wohnblöcken die es auch in Zentraleuropa gibt. Dem Architekten,der seine Baupläne über die ganze EU verkaufen konnte sei Dank. Das Problem ist wie immer, will der Reisende etwas Kultur, muss er sich durch diese Vororte kämpfen, um in der Innenstadt die Reste der Vergangenheit zu finden. Das Jetzt und das Morgen haben die Kultur fest in ihrem Griff und die Altstadt umklammert.

Die Fahrt durch ein enges Tal der Karpaten führt durch Schnee. Die Hauptstrasse nimmt den gleichen Weg. Hier die Schienenlinie auszubauen stösst auf Schwierigkeiten, so haben wir im angemessenen Tempo freie Fahrt durch die winterliche Landschaft. Ich liebe den Winter dank seiner Kälte. Ich liebe den Schnee, der die eckigen Formen weicher macht. Alles wird rund, die Erde hüllt sich in einen weissen Mantel, die Menschen hüllen sich in den ihren. Die Formen und Rundungen gehen verloren und alles wird gleich. Kein Unterschied, ob grün oder Fels. Kein Unterschied, ob dünn oder mollig. Mit dem Mantel sind wir alle gleich.
Der Schnee liegt jungfräulich zwischen den Gleisen. Nur das Eisen der zweigleisigen Strecke zeigt den Weg. Kein Zahnrad wird benötigt, die Lok kämpft sich ohne zu zögern im immer gleichen Trott durch den Schnee und rein in den nächsten Tunnel. Dunkelheit. Das Weiss scheint weisser als zuvor. Wir gewinnen an Höhenmeter. Die Schneedecke wird dichter, die Tannen leiden unter ihrer Last. Die Bergbäche sind unter der Schneemasse eingefroren. Hier ein Bauernhof mit rauchendem Kamin und kläffendem Hund. Sonst herrscht Ruhe, wenn der stete Kampf der Lokomotive nicht wäre. Welch ein Frieden hier alleine durch den Schnee zu stampfen.
Predeal, 140 Kilometer noch bis Bukarest. Die höchstgelegenste Stadt Rumäniens, ein Luftkurort auf knapp über 1.000 Höhenmeter. Nun geht es von Siebenbürgen runter in die Walachei. Friedlich liegen die Berge um die Stadt, wo es während des Ersten Weltkrieges schwere Kämpfe gab. Heute tummeln sich Skifahrer auf den Abfahrten von bis zu zweieinhalb Kilometern. Herrliches Wandergebiet ab dem Frühling, wenn der Schnee zu Wasser wird und die Wiesen blühen.
Das Tal öffnet sich. Auf der linken Seite auf dem Hügel liegt Schloss Canaguzino von Busteni. Erbaut auf Wunsch eines Prinzen im Jahre 1911 im neorumänischen Stil von einem Park umgeben mit Grotten, Kaskaden und Brunnen.
Im Tal der Walachei liegt kein Schnee mehr. Das Tal öffnet sich und lässt Platz für mehrere Dörfer und Kleinstädte, mit jeder Minute nähern wir uns der Hauptstadt Bukarest. Das Tempo steigert sich, die parallel verlaufende Hauptstrasse weist immer mehr Verkehrsaufkommen auf. Die Berge werden zu Hügeln und die Hügel lassen einer weiten fruchtbaren Ebene Platz. Auch hier scheint es, dass vor allem Getreide angepflanzt wird.
Ploiesti mit seinen Erdölfeldern und Raffinerien waren eine wichtige Ölquelle für das Deutsche Reich. Daher auch wurde die Stadt und Umgebung durch die US Army im Jahre 1943 stark bombardiert und beschädigt. Noch heute gilt die Stadt als Zentrum der rumänischen Erdölförderung und wichtige Industrie Stadt. Grosse Unternehmen der Lebensmittelindustrie wie Coca Cola, BA Tobacco und Unilever sind hier ansässig. Weiter sind hier Textil-, Metall- und Rüstungsbetriebe vertreten.

Der Zug verlässt das ländliche Rumänien und wir nähern uns dem Nordbahnhof, erbaut im Jahre 1868. Auf die Minute pünktliche Einfahrt. Die neun Stunden sind wie im Flug verstrichen, die Fahrt hat sich gelohnt.