Zugfahrt Cluj-Bukarest
Heute
geht die Reise von Cluj Napaca mit dem IC532 in die Landeshauptstadt
Bukarest. Der Bahnhof in Cluj liegt knapp zwei Kilometer ausserhalb
des Stadtzentrums, ist aber mit Bussen und Srassenbahn gut
erreichbar. Der Bahnhof selber ist übersichtlich und die
Anzeigetafeln gut verständlich. Ich habe noch Zeit und kaufe mir ein
Wasser, später wird es im Zug auch einen Imbisswagen geben, so wurde
mir gesagt. Um 8 Uhr fährt unser Zug ein. Eine rote Elektrolok macht
den Anfang, angehängt hat sie 3 Personenwagen. Zweite Klasse, erste
Klasse und nochmals zweite Klasse. Die Sitze sind nummeriert, in der
ersten Klasse gibt es viel Platz, wenig Fahrgäste und
Stromanschluss. Pünktlich um 08.16 Uhr wird gepfiffen, das Signal
zur Abfahrt gegeben und wir humpeln, rumpeln und schütteln uns auf
der breiten Gleisanlage des Bahnhofs Richtung Süden, Richtung
Bukarest. Die Reise dauert etwas über 9 Stunden. Für rund 500
Kilometer viel, da mehrere grössere Baustellen. Die Fahrt in der
ersten Klasse kostet 211 Lei, rund 40 €, 19% MwSt. inbegriffen.
Auf
der linken Seite der Bahnlinie erstreckt sich das Industriegebiet,
auf der rechten Seite die Aussenviertel der Stadt. Hier sehe ich auch
den ersten Lidl. Sonst habe ich in der Stadt selber nur ein paar DM
Drogeriemärkte und ein Kaufhof gesehen.
Einmal
die Stadt verlassen fahren wir durch leicht hügeliges
landwirtschaftlich genutztes Land. Es ist Winter, Stoppeln von
Getreide, Heuballen, noch stehende vertrocknete Maisfelder zeugen von
einer Reichen Getreideernte. Stellenweise wurde der schwarze,
fruchtbare Boden bereits gepflügt und für die Saat vorbereitet.
Doch müssen zuerst die Temperaturen steigen. Der Ententeich ist noch
zugefroren. Hin und wieder sehe ich kleinere Bauernhöfe. Das
Wohnhaus aus Stein mit Schieferdach, der Stall aus Holz. Teilweise
stehen hölzerne Maisspeicher neben den Ställen, so wie man sie in
Galizien sieht. Keine landwirtschaftlichen Maschinen sind zu sehen.
Schotterwege führen zu den Gehöften und begleiten uns links und
rechts der Bahnlinie. Es erinnert mich an Moldawien. Wir bummeln mit
30 km/h durch die Gegend, denn es wird emsig gebaut. Auf der ersten
Stunde Fahrt bis Campia Turzii werden die alten porösen
Betonschwellen und teilweise sogar noch Holzschwellen ersetzt. Neuer
Schotter wird auf dem Schienentrasse verteilt. Die Ortschaft zeigt
sich von weitem mit ihren Schornsteinen alter Fabriken und den Pilzen
der Wasserdepot. Am kleinen Bahnhof steht der Bahnhofsvorsteher mit
rotem Hut und er winkt dem Lokführer mit seiner weiss-grünen Kelle
zu. Unterwegs treffen wir immer wieder auf kleinere Bahnhöfe, die da
so alleine in der Pampa stehen und jedes mal das gleiche Bild, ein
mit der Kelle winkende Mitarbeiter der CFR.
CFR,
Caile Ferate Române, so die staatliche Eisenbahngesellschaft
Rumäniens, sieht auf eine lange Eisenbahngeschichte zurück. Die
älteste Bahnstrecke für den Personentransport aus dem Jahre 1857
und wurde bereits zu Zeiten des Kaisertums Österreich im Banat
gebaut. Die Strecke verband die Städte Temeswar, Hatzfeld, Kikinda
und Szeged auf einer Länge von 112 Kilometer. Bereits ein Jahr
früher wurde die Banater Montanbahn eröffnet. Sie transportierte
Steinkohle von Steierdorf (Anina) nach Basiasch.
Nach dem zweiten
Weltkrieg wurde Rumänien auf Betreiben der Sowjetunion eine
Volksrepublik. In den 1950ern und 1960ern Jahren begann die
Elektrifizierung der Hauptstrecken und in den 1970er Jahren wurden
die letzten Dampflokomotiven ausgemustert. Nachdem sich der Eiserne
Vorhang öffnete durchlebte die CFR schwierige Zeiten. Rumänien
wurde 2007 Mitglied der Europäischen Union und diese förderte mit
grossen Geldbeträgen den paneuropäischen Verkehrskorridor.
Gemäss den Angaben der CFR misst die Gesamtlänge des Streckennetzes 20.730 km,
davon sind lediglich 3.300 km elektrifiziert und wieder davon 2.700
zweispurig. Da
erst in den letzten Jahren mit der Instandsetzung der Bahnstrecken
begonnen wurde, ist man heutzutage mit dem Auto schneller unterwegs
als mit der Bahn.
Wir fahren mit den gewohnten 50 km/h durch eine breite Ebene. Links flimmert der Asphalt der Autobahn, rechts flimmern Solarzellen unter der Sonne. Sonst immer das gleiche Bild von landwirtschaftlichen Flächen. Kleine Bauernhöfe, Weiler, Dörfer. Fast kein Mensch zu sehen, hier mal fünf Kühe, dort eine Herde zottiger Schafe. Bei der Einfahrt im Bahnhof von Teius zähle ich über zehn Gleise. Verrostete und ausgehöhlte Dieselloks stehen bei den Depots. Moderne Triebwagen verbinden die umliegenden Städte und Dörfer. Wir sind bereits über zwei Stunden unterwegs. Hier werden nun weitere zwei Wagen angekoppelt. Im hinteren ist eine Art Bar, denn zum Essen gibt es nur Snacks und Sandwichs.
Jetzt
nimmt er aber Fahrt auf! Die zusätzlichen Wagen haben ihm Antrieb
gegeben und wir fahren mit stolzen 100 Sachen durch das weiterhin von
Ackerbau bestehende Land. Die zügige Fahrt dauert nicht lange,
wieder fahren wir durch Baustellen, teilweise wird die Linienführung
geändert, neue Brücken entstehen.
Die
Autobahn weicht einer Hauptstrasse. Die Wege, welche in die Dörfer
führen bleiben sind weiterhin nicht asphaltiert, Schlammpisten wohl
nur für 4x4 und ortskundige Fahrer geeignet. Da, ein Holzkarren auf
Autorädern, gezogen von zwei langhaarigen Pferden. Hier entlang der
Strecke zwischen zweitgrösster Stadt des Landes und Hauptstadt liegt
das wahre, das ländliche Rumänien. Kinder warten an der Kreuzung
auf den Schulbus. In einem Weiler reihen sich die Häuser um den
gemeinsamen Dorfplatz. Dort wird bei 0° Wäsche zum trocknen
aufgehängt. Der riesige Schäferhund bewacht nicht nur die frisch
gewaschene Wäsche. Die Häuser sind nur an der Hauptfront grün
gestrichen, die Seiten bleiben kahl. Ausserhalb, auf einem Hügel,
liegt der fein säuberlich angelegte orthodoxe Friedhof. Am Eingang
und Unterdach ein riesiger Tisch mit Bänken für die Gedenkfeiern
der Angehörigen. Weite karge Täler, teilweise mit Schnee bedeckt,
wechseln sich ab mit Nadel- und Laubwäldern. Aus dem Nichts
plötzlich ein grösserer Mastbetrieb. Hier gackern wohl die Hühner
vor ihrem Tode. Im Gegensatz Bienenkörbe, der Frühling muss
farbenprächtig sein. Dunkle Wolken hängen vom Himmel hin bis zur
Erde. Die Erde ruht. Sie wartet auf den Frühling, auf die ersten
Wärmestrahlen und auf die Saat. Wachstum folgt während des Sommers
hin bis zur Ernte, auf die der kommende Winter folgt. Nicht nur die
Erde ruht, auch die Gewässer sind zugefroren, der Mensch ist zu
Hause an der Wärme und erholt sich von den vergangenen drei
Jahreszeiten.
Die
Gegend erinnert mich an den Nachbarstaat Moldawien, erinnert mich
aber auch an Franz Kafka. So muss Ottlas Landwirtschaft in Zürau
ausgesehen haben, wo Kafka sich von Prag erholend und seiner
Krankheit der Tuberkulose entrinnen zu versuchte. Auf seinen
Spaziergängen ist er weit gegangen, 5 Stunden etwa, allein und nicht
genug allein, in ganz leeren Tälern und Augen, aber nicht genug leer
für Franz Kafka.
In
Kafkas Briefen an F. ist ein anderer Prozess entstanden oder wird als
die Geburtsstätte des Prozess betrachtet. Da sollen sich die
Gelehrten streiten. Sicher ist, dass die Beziehung zu F. zeitweise
störend auf das Schaffen Kafkas wirkte, gleichzeitig er aber sich
die Mühe nahm, diese Störung zu anerkennen. Er wusste, dass dies
all seine Produktion auszusetzen im Stande war. Seine Beziehung zu
Felice gab ihm zu Beginn ein gewisses Gleichgewicht, welches aber mit
der Routine zerstört wurde. Er schreibt mit Stockungen. Benötigt
ungewöhnlich viel Zeit für die Abhandlung, die zeitgleich sein
Heiratsantrag an F. Ist. Ein Heiratsantrag, den er in seinem tiefsten
Bewusstsein eigentlich gar nicht will. So endet er den Brief auch
mit der Anmerkung "ich bin im Grunde ein kalter, eigennütziger und
gefühlloser Mensch". Aus dieser Qual des Wollens und Nichtwollens
ist die Einzigartigkeit seiner Werke zu erklären. Unsere heutige
Welt ist eine geworden, wo Angst und Gleichgültigkeit vorherrschen.
Da Kafka sich ohne Bedenken ausgedrückt hat, hat er als erster das
wahre Bild der Welt erkannt. Kafka war mit seinen Beobachtungen
zufrieden, im gleichen Augenblick aber wunderte er sich, dass er
nicht noch zufriedener war. Dies zeigte sich auch, dass Kafkas
Taschenuhr anders geht als die offiziellen Uhren. Dies gab ihm eine
kleines Stück Freiheit. Es ging dabei nicht um eine volle Stunde,
sondern um die wenigen Minuten, die nicht mit den Zeiten der Büros
und der Fabriken tickte.
Eigentlich
ist es schade, dass wir von einer elektrischen Lok gezogen werden.
Die Gegend und die Geschwindigkeit verlangen eine Dampflok. Ein
Ungetüm das stampfend und pfeifend durch die einsame Gegend
schleicht. Weder Natur noch den Bauer mit der Bäuerin wecken kann.
Die Natur erwacht in ein paar Wochen, das Bauernkind erblickt die
Welt im Herbst. Lediglich die Baustellen trüben die Stille der
zugefrorenen Teiche, der schneebedeckten Felder und den rauchenden
Kaminen.
Wir
nähern uns Brasov, von den Karpaten umgeben. Die Stadt ist bekannt
für ihre Stadtmauer und Bollwerke und der imposante gotische
Schwarze Kirche. Eine Reise mit der Bahn ist angenehm. Ich kann
schreiben, lesen, träumen und ruhen. Aber ich kann nicht stoppen und
geniessen. Werde ich diesen Teil unserer Erde einmal mit dem Camper
entdecken können? Gerne.
Brasov
zeigt sich wie alle Städte. Wohnbauten aus einer anderen Zeit sind
durchmischt mit modernen Wohnblöcken die es auch in Zentraleuropa
gibt. Dem Architekten,der seine Baupläne über die ganze EU
verkaufen konnte sei Dank. Das Problem ist wie immer, will der
Reisende etwas Kultur, muss er sich durch diese Vororte kämpfen, um
in der Innenstadt die Reste der Vergangenheit zu finden. Das Jetzt
und das Morgen haben die Kultur fest in ihrem Griff und die Altstadt
umklammert.
Die
Fahrt durch ein enges Tal der Karpaten führt durch Schnee. Die
Hauptstrasse nimmt den gleichen Weg. Hier die Schienenlinie
auszubauen stösst auf Schwierigkeiten, so haben wir im angemessenen
Tempo freie Fahrt durch die winterliche Landschaft. Ich liebe den
Winter dank seiner Kälte. Ich liebe den Schnee, der die eckigen
Formen weicher macht. Alles wird rund, die Erde hüllt sich in einen
weissen Mantel, die Menschen hüllen sich in den ihren. Die Formen
und Rundungen gehen verloren und alles wird gleich. Kein Unterschied,
ob grün oder Fels. Kein Unterschied, ob dünn oder mollig. Mit dem
Mantel sind wir alle gleich.
Der
Schnee liegt jungfräulich zwischen den Gleisen. Nur das Eisen der
zweigleisigen Strecke zeigt den Weg. Kein Zahnrad wird benötigt, die
Lok kämpft sich ohne zu zögern im immer gleichen Trott durch den
Schnee und rein in den nächsten Tunnel. Dunkelheit. Das Weiss
scheint weisser als zuvor. Wir gewinnen an Höhenmeter. Die
Schneedecke wird dichter, die Tannen leiden unter ihrer Last. Die
Bergbäche sind unter der Schneemasse eingefroren. Hier ein Bauernhof
mit rauchendem Kamin und kläffendem Hund. Sonst herrscht Ruhe, wenn
der stete Kampf der Lokomotive nicht wäre. Welch ein Frieden hier
alleine durch den Schnee zu stampfen.
Predeal,
140 Kilometer noch bis Bukarest. Die höchstgelegenste Stadt
Rumäniens, ein Luftkurort auf knapp über 1.000 Höhenmeter. Nun
geht es von Siebenbürgen runter in die Walachei. Friedlich liegen
die Berge um die Stadt, wo es während des Ersten Weltkrieges schwere
Kämpfe gab. Heute tummeln sich Skifahrer auf den Abfahrten von bis
zu zweieinhalb Kilometern. Herrliches Wandergebiet ab dem Frühling,
wenn der Schnee zu Wasser wird und die Wiesen blühen.
Das
Tal öffnet sich. Auf der linken Seite auf dem Hügel liegt Schloss
Canaguzino von Busteni. Erbaut auf Wunsch eines Prinzen im Jahre 1911
im neorumänischen Stil von einem Park umgeben mit Grotten, Kaskaden
und Brunnen.
Im
Tal der Walachei liegt kein Schnee mehr. Das Tal öffnet sich und
lässt Platz für mehrere Dörfer und Kleinstädte, mit jeder Minute
nähern wir uns der Hauptstadt Bukarest. Das Tempo steigert sich, die
parallel verlaufende Hauptstrasse weist immer mehr Verkehrsaufkommen
auf. Die Berge werden zu Hügeln und die Hügel lassen einer weiten
fruchtbaren Ebene Platz. Auch hier scheint es, dass vor allem
Getreide angepflanzt wird.
Ploiesti
mit seinen Erdölfeldern und Raffinerien waren eine wichtige Ölquelle
für das Deutsche Reich. Daher auch wurde die Stadt und Umgebung
durch die US Army im Jahre 1943 stark bombardiert und beschädigt.
Noch heute gilt die Stadt als Zentrum der rumänischen Erdölförderung
und wichtige Industrie Stadt. Grosse Unternehmen der
Lebensmittelindustrie wie Coca Cola, BA Tobacco und Unilever sind
hier ansässig. Weiter sind hier Textil-, Metall- und
Rüstungsbetriebe vertreten.
Der
Zug verlässt das ländliche Rumänien und wir nähern uns dem
Nordbahnhof, erbaut im Jahre 1868. Auf die Minute pünktliche
Einfahrt. Die neun Stunden sind wie im Flug verstrichen, die Fahrt
hat sich gelohnt.