al-Andalus

19.08.2025

Bei meinem aktuellen Studium verschiedenster Bücher über die sogenannten Berber Nordafrikas führt mich die Geschichte erneut zu einem meiner früheren Lieblingsthemen: dem Islam auf der iberischen Halbinsel. Denn wie in allen einschlägigen Touristenführern und auf Internetseiten zu lesen ist, spielte der Islam in Spanien, vor allem in Andalusien, eine sehr wichtige Rolle. Die Denkmäler aus dieser Zeit sind nicht nur in Granada, Sevilla und Córdoba teilweise erhalten geblieben, sondern werden auch jährlich von Millionen von Besuchern bewundert. Das ist der Grund, warum ich hier nicht einfach noch einen Artikel zu diesem Thema schreiben möchte. Stattdessen werde ich in den nachfolgenden Zeilen versuchen, die wichtigsten Völker zu erwähnen und kurz zu beschreiben, die zwischen dem 8. und dem 15. Jahrhundert eine so wichtige Rolle im Süden Spaniens, Portugals und im Norden Afrikas spielten.

Nach dem Niedergang des Römischen Reiches lebten vom 5. bis 8. Jahrhundert die christlichen Westgoten auf der Iberischen Halbinsel. Ihre Hauptstadt war Toledo. Die Fürsten unterdrückten die Einwohner mit hohen Steuern und die einzelnen Grafen waren untereinander ständig im Streit. Im Jahr 711 landete der berberische Feldherr Tarik Ibn Ziyad in Gibraltar, um von hier aus Spanien dem Islam zu unterwerfen. Er handelte im Namen des arabischen Emirs Musa, der zunächst die neu bekehrten Berber ins unbekannte Spanien schickte. Als ihm gemeldet wurde, dass sein ehemaliger Sklave, nun Feldherr Tarik, grosse Erfolge verzeichnen konnte, wollte auch er Geschichte schreiben und zog mit seinem arabischen Heer ebenfalls nach Spanien. Der Emir befahl Tarik, auf seine Verstärkung zu warten. Dieser wollte jedoch die Gunst der Stunde nutzen und eroberte Toledo, ohne auf seinen Herrn zu warten. Dafür bezahlte er mit Gefangenschaft. Die Folgen waren verheerend: Araber und Berber standen sich vor Toledo feindselig gegenüber. Die Goten witterten die Möglichkeit, verlorene Städte zurückzuerobern. Der Emir und sein Feldherr schlossen kurz Frieden, um den gemeinsamen Feind zurückzuschlagen. Danach ging jedoch jeder seinen eigenen Weg. Emir Musa Richtung Westen und Feldherr Tarik weiter Richtung Norden.

In den folgenden Jahrzehnten sollte es immer wieder zu Konflikten zwischen Arabern und Berbern auf der iberischen Halbinsel kommen. Der Prophet Mohammed hatte einst gepredigt, dass alle Gläubigen vor Allah gleich seien und kein Moslem wegen seiner Herkunft oder Rasse bevorzugt oder benachteiligt werden dürfe. Doch für die Araber wie auch die Berber zählte immer zuerst der eigene Stamm, dann die übrigen Beduinen, dann kam lange nichts. Das Blut musste rein bleiben. Es half nichts, wenn ein Berber den ganzen Koran auf Arabisch aufsagen konnte. Araber wurde er deshalb nicht, sondern lediglich Mohammedaner.

Im Osten des grossen islamischen Reiches tobten Aufstände gegen die Omajaden. Hier kämpften arabische Muslime gegen arabische Muslime. Im Jahr 749 siegte der aus Mekka stammende Stamm der Abbasiden. Die Familie der Omaijaden wurde getötet, lediglich der jüngste Sohn, Abd ar-Rahman, konnte fliehen. Nach einer jahrelangen Flucht landete er in Spanien. Seine Mutter war eine Zennata-Berberin, und mit der Unterstützung dieses Stammes konnte er die zerstrittenen Anhänger des Islams auf der iberischen Halbinsel vereinen.
Er machte Córdoba zu seiner Hauptstadt. Seine Nachfolger schufen aus Córdoba eine Millionenstadt, die sich mit Damaskus messen konnte, mit der bis heute bekannten Grossen Moschee, zahlreichen Universitäten und Krankenhäusern. Etwas ausserhalb von Córdoba wurde der Sitz des Kalifen, Medina Azahara, errichtet, eine Palaststadt, die ihresgleichen suchte. Das Reich von Córdoba stand auf seinem Höhepunkt, seine Herrschaft reichte von Nordspanien bis weit nach Nordwestafrika hinein. Doch auch dieses Reich war unter einem schwachen Herrscher dem Untergang geweiht.
Berbertruppen meuterten und zerstörten Medinat Azahara. Die verschiedenen Städte kämpften untereinander, die Christen im Norden sahen eine Möglichkeit zur Rückeroberung und das einst mächtige Al-Andalus schien zu zerfallen.

Zu dieser Zeit sammelt sich in Nordafrika, zwischen Tanger und Ceuta, ein riesiges Heer. In seinen Reihen finden sich hellhäutige Berber des Hohen Atlas sowie Berber der Stämme Zennata und Masmuda als Hilfstruppen. Im Haupttrupp zogen Kamelreiter des Berberstammes der Sanhadja mit. Sie trugen weite Umhänge und Turbane. Sie trugen einen schwarzen Gesichtsschleier, ihre Haut war dunkel und sie waren den Tuareg verwandt, Nomaden aus der Sahara. Ihr Anführer war Yusuf Ibn Tashufin. Im Süden hatten sie eine neue Hauptstadt namens Mraksch gegründet. Die Männer des Ribat, auch Männer der Glaubensburg genannt, die später unter der Bezeichnung Almoraviden bekannt wurden, wurden von andalusischen Gelehrten zur Hilfe gerufen, um den internen Streit zu schlichten und die Gefahr der Christen aus dem Norden abzuwehren.

Am 30. Juni 1086 landeten die Berber in Algeciras, wo der Emir von Badajoz auf sie wartete. Bei Sagrajas nahe Badajoz kam es zur Schlacht gegen die Christen, die geschlagen wurden. Vorerst kehrte Ibn Tashufin nach Marrakesch zurück. Vier Jahre später kam er aber erneut nach al-Andalus, um Krieg gegen seine Glaubensbrüder zu führen. Er vereinte die andalusischen Städte unter seiner Macht und drang bis Toledo vor. Andalusien wurde für den Islam gerettet und wurde zum Kern des grossen Reiches, das von Spanien bis in die Sahara reichte. Als strenggläubige Nomaden galten ihnen nur der Koran als lesenswert.
Die Philosophen von früher und heute waren ihnen suspekt. Das geistige Leben Andalusiens, das einst von wichtiger Bedeutung war, erlosch. Die Almoraviden waren die erste Berberdynastie eines mächtigen Reiches. Die einfachen Menschen aus der Wüste konnten und wollten das Erbe einer vielseitigen Kultur nicht bewahren, sondern gefährdeten es. Die Andalusier waren verzweifelt. Doch ein anderes Berbervolk aus dem Atlasgebirge stand bereit, das die Kultur bewahren wollte. Die Almohaden, Bekenner der göttlichen Einheit, wollten Al-Andalus zu alter Stärke zurückführen.

Im Jahr 1145 eroberten die Almohaden unter Abd al-Mumin Marokko, rückten nach Algerien vor und schlugen bei Tlemcen die Armee der Almoraviden. Kurz darauf landeten die Sieger bei Gibraltar und zum dritten Mal eroberten Berber im Namen Allahs Spanien. Diesmal war der Feind jedoch eine schwache Berberdynastie, die ihrem Untergang geweiht war. Der neue Berberfürst aus dem Stamm der Masmuda förderte die verlorene Kultur, sodass Al-Andalus erneut weltoffen wurde, wie es zu dieser Zeit Damaskus und Bagdad waren. Die Almohaden regierten von Sevilla aus. Jahrzehntelange Bürgerkriege liessen die damalige Stadt Córdoba veröden. Sevilla wurde zur glanzvollen Stadt der neuen Herrscher. Tausende weissgekalkte Häuser mit Innenhöfen gruppierten sich um den Kalifenpalast und die grosse Moschee. Gepflasterte ss, Brunnen, Basare, Bibliotheken, Badehäuser und Schulen belebten die Stadt. Das benachbarte Frankreich, Italien und das Deutsche Reich betrieben Handel mit der Stadt am Guadalquivir und staunten über ihre Pracht. Gelehrte aus Mitteleuropa kamen zu den Mauren, um ihr Wissen zu erweitern. Diese Mauren wurden um das Jahr 1200 von Berbern regiert.
Berber, nicht Araber, waren damals die Förderer einer hochentwickelten Kultur.

Die Almohaden herrschten knapp ein Jahrhundert lang über ein Reich, das von Andalusien bis Tunesien und tief in den Süden Marokkos reichte. Sie errichteten das grösste Berberreich der Geschichte und waren politisch sowie kulturell eigenständig. Sie waren nicht länger Schüler arabischer Lehrmeister, sondern durften sich selbst als Lehrer sehen. Doch auch dieses Reich konnte nicht ewig dauern. Sie verfielen in die Fehler aller bisherigen Stämme aus Nordafrika und Arabien. Sie fühlten sich nicht in erster Linie als Muslime, nicht einmal als Berber, sondern als Masmuda. Ein Masmuda war mehr wert als ein anderer Berber, ein Araber oder ein Christ. Auch sie versäumten es, die verschiedenen Völker unter der Fahne des Islam zu einer gleichberechtigten Familie der Gläubigen zu vereinen.

In Südalgerien wurden die Beni Merin, die zum Grossstamm der Zennata gehörten, rebellisch. Sie zogen durch Marokko in Richtung Andalusien und bekämpften die Almohaden. Der Todesstoss gegen das islamische Reich in Spanien kam jedoch aus dem Norden. Die christlichen Könige von León, Kastilien und Navarra verbündeten sich, um die zerstrittenen Muslime ein für alle Mal zu vertreiben. Bei Las Navas de Tolosa trafen die christlichen Truppen auf die Berber, und am 16. Juli 1212 trat eine historische Wende ein. Die Almohaden wurden geschlagen und ihr Reich löste sich vier Jahre später aufgrund interner Streitereien auf.
Die Beni Merin gründeten in Marokko eine eigene Dynastie, die den Namen Meriniden trug. Sie machten Fès zu ihrer Hauptstadt und regierten zwei Jahrhunderte lang ein Gebiet das von Tanger bis in den Süden Marokkos reichte.
Die Abd el-Wadiden riefen in Tlemcen ihr eigenes Reich aus und beherrschten von dort aus bis in die Sahara.
In Tunesien kamen die Hafsiden an die Macht. Damit war das damalige Berbereich in drei selbstständige Staaten unter der Führung verschiedener Berberstämme zerfallen. Sie sollten niemals wieder zusammenfinden. Bereits damals bildeten sich ungefähr die heutigen Grenzen zwischen Marokko, Algerien und Tunesien heraus.

In Spanien konnte nichts den Siegeszug der Christen aufhalten. Ferdinand III. eroberte Córdoba, die ehemals glanzvolle Millionenmetropole der Omaijaden. Zwölf Jahre später nahm er Sevilla ein. Von der Giralda wird kein Muezzin mehr zum Gebet rufen. Die Mauren hatten bis auf eines ihre wichtigsten Fürstentümer auf der iberischen Halbinsel alles verloren. Granada unter seinem Emir Ibn Amar war jedoch klug genug, mit den übermächtigen Kastiliern einen Schutzvertrag abzuschliessen und einen hohen Tribut zu bezahlen. Die Stadt Granada zählte zu seinen Glanzzeiten weit über eine halbe Million Einwohner. Das Reich reichte von Almería bis Tarifa. Viele Bewohner eroberter Städte zogen nach Granada, wo die alten Kulturen weiterhin gepflegt wurden. Im 14. Jahrhundert entstand schliesslich jener Bau, der sich als Höhepunkt maurischer Kultur im Bewusstsein der Menschheit festsetzte: die Alhambra. Die Dynastie der Nasriden leitet ihre Abstammung von einem uralten arabischen Geschlecht ab. Doch was sagt das schon in einem Land, in dem es seit Jahrhunderten nur eine dünne arabische Oberschicht gab? Die Masse des Volkes bestand seit jeher aus Berbern. Berber stellten den Grossteil der Bauern, Krieger und Kaufleute auch im islamischen Reich von Granada.