al-Andalus
Bei meinem aktuellen Studium verschiedenster Bücher über die sogenannten Berber Nordafrikas führt mich die Geschichte erneut zu einem meiner früheren Lieblingsthemen: dem Islam auf der iberischen Halbinsel. Denn wie in allen einschlägigen Touristenführern und auf Internetseiten zu lesen ist, spielte der Islam in Spanien, vor allem in Andalusien, eine sehr wichtige Rolle. Die Denkmäler aus dieser Zeit sind nicht nur in Granada, Sevilla und Córdoba teilweise erhalten geblieben, sondern werden auch jährlich von Millionen von Besuchern bewundert. Das ist der Grund, warum ich hier nicht einfach noch einen Artikel zu diesem Thema schreiben möchte. Stattdessen werde ich in den nachfolgenden Zeilen versuchen, die wichtigsten Völker zu erwähnen und kurz zu beschreiben, die zwischen dem 8. und dem 15. Jahrhundert eine so wichtige Rolle im Süden Spaniens, Portugals und im Norden Afrikas spielten.
Nach dem Niedergang des Römischen Reiches lebten vom 5. bis 8. Jahrhundert die christlichen Westgoten auf der Iberischen Halbinsel. Ihre Hauptstadt war Toledo. Die Fürsten unterdrückten die Einwohner mit hohen Steuern und die einzelnen Grafen waren untereinander ständig im Streit. Im Jahr 711 landete der berberische Feldherr Tarik Ibn Ziyad in Gibraltar, um von hier aus Spanien dem Islam zu unterwerfen. Er handelte im Namen des arabischen Emirs Musa, der zunächst die neu bekehrten Berber ins unbekannte Spanien schickte. Als ihm gemeldet wurde, dass sein ehemaliger Sklave, nun Feldherr Tarik, grosse Erfolge verzeichnen konnte, wollte auch er Geschichte schreiben und zog mit seinem arabischen Heer ebenfalls nach Spanien. Der Emir befahl Tarik, auf seine Verstärkung zu warten. Dieser wollte jedoch die Gunst der Stunde nutzen und eroberte Toledo, ohne auf seinen Herrn zu warten. Dafür bezahlte er mit Gefangenschaft. Die Folgen waren verheerend: Araber und Berber standen sich vor Toledo feindselig gegenüber. Die Goten witterten die Möglichkeit, verlorene Städte zurückzuerobern. Der Emir und sein Feldherr schlossen kurz Frieden, um den gemeinsamen Feind zurückzuschlagen. Danach ging jedoch jeder seinen eigenen Weg. Emir Musa Richtung Westen und Feldherr Tarik weiter Richtung Norden.
In den folgenden Jahrzehnten sollte es immer wieder zu Konflikten zwischen Arabern und Berbern auf der iberischen Halbinsel kommen. Der Prophet Mohammed hatte einst gepredigt, dass alle Gläubigen vor Allah gleich seien und kein Moslem wegen seiner Herkunft oder Rasse bevorzugt oder benachteiligt werden dürfe. Doch für die Araber wie auch die Berber zählte immer zuerst der eigene Stamm, dann die übrigen Beduinen, dann kam lange nichts. Das Blut musste rein bleiben. Es half nichts, wenn ein Berber den ganzen Koran auf Arabisch aufsagen konnte. Araber wurde er deshalb nicht, sondern lediglich Mohammedaner.
Im
Osten des grossen islamischen Reiches tobten Aufstände gegen die
Omajaden. Hier kämpften arabische Muslime gegen arabische Muslime.
Im Jahr 749 siegte der aus Mekka stammende Stamm der Abbasiden. Die
Familie der Omaijaden wurde getötet, lediglich der jüngste Sohn,
Abd ar-Rahman, konnte fliehen. Nach einer jahrelangen Flucht landete
er in Spanien. Seine Mutter war eine Zennata-Berberin, und mit der
Unterstützung dieses Stammes konnte er die zerstrittenen Anhänger
des Islams auf der iberischen Halbinsel vereinen.
Er machte
Córdoba zu seiner Hauptstadt. Seine Nachfolger schufen aus Córdoba
eine Millionenstadt, die sich mit Damaskus messen konnte, mit der bis
heute bekannten Grossen Moschee, zahlreichen Universitäten und
Krankenhäusern. Etwas ausserhalb von Córdoba wurde der Sitz des
Kalifen, Medina Azahara, errichtet, eine Palaststadt, die
ihresgleichen suchte. Das Reich von Córdoba stand auf seinem
Höhepunkt, seine Herrschaft reichte von Nordspanien bis weit nach
Nordwestafrika hinein. Doch auch dieses Reich war unter einem
schwachen Herrscher dem Untergang geweiht.
Berbertruppen
meuterten und zerstörten Medinat Azahara. Die verschiedenen Städte
kämpften untereinander, die Christen im Norden sahen eine
Möglichkeit zur Rückeroberung und das einst mächtige Al-Andalus
schien zu zerfallen.
Zu dieser Zeit sammelt sich in Nordafrika, zwischen Tanger und Ceuta, ein riesiges Heer. In seinen Reihen finden sich hellhäutige Berber des Hohen Atlas sowie Berber der Stämme Zennata und Masmuda als Hilfstruppen. Im Haupttrupp zogen Kamelreiter des Berberstammes der Sanhadja mit. Sie trugen weite Umhänge und Turbane. Sie trugen einen schwarzen Gesichtsschleier, ihre Haut war dunkel und sie waren den Tuareg verwandt, Nomaden aus der Sahara. Ihr Anführer war Yusuf Ibn Tashufin. Im Süden hatten sie eine neue Hauptstadt namens Mraksch gegründet. Die Männer des Ribat, auch Männer der Glaubensburg genannt, die später unter der Bezeichnung Almoraviden bekannt wurden, wurden von andalusischen Gelehrten zur Hilfe gerufen, um den internen Streit zu schlichten und die Gefahr der Christen aus dem Norden abzuwehren.
Am
30. Juni 1086 landeten die Berber in Algeciras, wo der Emir von
Badajoz auf sie wartete. Bei Sagrajas nahe Badajoz kam es zur
Schlacht gegen die Christen, die geschlagen wurden. Vorerst kehrte
Ibn Tashufin nach Marrakesch zurück. Vier Jahre später kam er aber
erneut nach al-Andalus, um Krieg gegen seine Glaubensbrüder zu
führen. Er vereinte die andalusischen Städte unter seiner Macht und
drang bis Toledo vor. Andalusien wurde für den Islam gerettet und
wurde zum Kern des grossen Reiches, das von Spanien bis in die Sahara
reichte. Als strenggläubige Nomaden galten ihnen nur der Koran als
lesenswert.
Die Philosophen von früher und heute waren ihnen
suspekt. Das geistige Leben Andalusiens, das einst von wichtiger
Bedeutung war, erlosch. Die Almoraviden waren die erste
Berberdynastie eines mächtigen Reiches. Die einfachen Menschen aus
der Wüste konnten und wollten das Erbe einer vielseitigen Kultur
nicht bewahren, sondern gefährdeten es. Die Andalusier waren
verzweifelt. Doch ein anderes Berbervolk aus dem Atlasgebirge stand
bereit, das die Kultur bewahren wollte. Die Almohaden, Bekenner der
göttlichen Einheit, wollten Al-Andalus zu alter Stärke
zurückführen.
Im
Jahr 1145 eroberten die Almohaden unter Abd al-Mumin Marokko, rückten
nach Algerien vor und schlugen bei Tlemcen die Armee der Almoraviden.
Kurz darauf landeten die Sieger bei Gibraltar und zum dritten Mal
eroberten Berber im Namen Allahs Spanien. Diesmal war der Feind
jedoch eine schwache Berberdynastie, die ihrem Untergang geweiht war.
Der neue Berberfürst aus dem Stamm der Masmuda förderte die
verlorene Kultur, sodass Al-Andalus erneut weltoffen wurde, wie es zu
dieser Zeit Damaskus und Bagdad waren. Die Almohaden regierten von
Sevilla aus. Jahrzehntelange Bürgerkriege liessen die damalige Stadt
Córdoba veröden. Sevilla wurde zur glanzvollen Stadt der neuen
Herrscher. Tausende weissgekalkte Häuser mit Innenhöfen gruppierten
sich um den Kalifenpalast und die grosse Moschee. Gepflasterte ss,
Brunnen, Basare, Bibliotheken, Badehäuser und Schulen belebten die
Stadt. Das benachbarte Frankreich, Italien und das Deutsche Reich
betrieben Handel mit der Stadt am Guadalquivir und staunten über
ihre Pracht. Gelehrte aus Mitteleuropa kamen zu den Mauren, um ihr
Wissen zu erweitern. Diese Mauren wurden um das Jahr 1200 von Berbern
regiert.
Berber, nicht Araber, waren damals die Förderer einer
hochentwickelten Kultur.
Die Almohaden herrschten knapp ein Jahrhundert lang über ein Reich, das von Andalusien bis Tunesien und tief in den Süden Marokkos reichte. Sie errichteten das grösste Berberreich der Geschichte und waren politisch sowie kulturell eigenständig. Sie waren nicht länger Schüler arabischer Lehrmeister, sondern durften sich selbst als Lehrer sehen. Doch auch dieses Reich konnte nicht ewig dauern. Sie verfielen in die Fehler aller bisherigen Stämme aus Nordafrika und Arabien. Sie fühlten sich nicht in erster Linie als Muslime, nicht einmal als Berber, sondern als Masmuda. Ein Masmuda war mehr wert als ein anderer Berber, ein Araber oder ein Christ. Auch sie versäumten es, die verschiedenen Völker unter der Fahne des Islam zu einer gleichberechtigten Familie der Gläubigen zu vereinen.
In
Südalgerien wurden die Beni Merin, die zum Grossstamm der Zennata
gehörten, rebellisch. Sie zogen durch Marokko in Richtung Andalusien
und bekämpften die Almohaden. Der Todesstoss gegen das islamische
Reich in Spanien kam jedoch aus dem Norden. Die christlichen Könige
von León, Kastilien und Navarra verbündeten sich, um die
zerstrittenen Muslime ein für alle Mal zu vertreiben. Bei Las Navas
de Tolosa trafen die christlichen Truppen auf die Berber, und am 16.
Juli 1212 trat eine historische Wende ein. Die Almohaden wurden
geschlagen und ihr Reich löste sich vier Jahre später aufgrund
interner Streitereien auf.
Die
Beni Merin gründeten in Marokko eine eigene Dynastie, die den Namen
Meriniden trug. Sie machten Fès zu ihrer Hauptstadt und regierten
zwei Jahrhunderte lang ein Gebiet das von Tanger bis in den Süden
Marokkos reichte.
Die
Abd el-Wadiden riefen in Tlemcen ihr eigenes Reich aus und
beherrschten von dort aus bis in die Sahara.
In
Tunesien kamen die Hafsiden an die Macht. Damit war das damalige
Berbereich in drei selbstständige Staaten unter der Führung
verschiedener Berberstämme zerfallen. Sie sollten niemals wieder
zusammenfinden. Bereits damals bildeten sich ungefähr die heutigen
Grenzen zwischen Marokko, Algerien und Tunesien heraus.
In Spanien konnte nichts den Siegeszug der Christen aufhalten. Ferdinand III. eroberte Córdoba, die ehemals glanzvolle Millionenmetropole der Omaijaden. Zwölf Jahre später nahm er Sevilla ein. Von der Giralda wird kein Muezzin mehr zum Gebet rufen. Die Mauren hatten bis auf eines ihre wichtigsten Fürstentümer auf der iberischen Halbinsel alles verloren. Granada unter seinem Emir Ibn Amar war jedoch klug genug, mit den übermächtigen Kastiliern einen Schutzvertrag abzuschliessen und einen hohen Tribut zu bezahlen. Die Stadt Granada zählte zu seinen Glanzzeiten weit über eine halbe Million Einwohner. Das Reich reichte von Almería bis Tarifa. Viele Bewohner eroberter Städte zogen nach Granada, wo die alten Kulturen weiterhin gepflegt wurden. Im 14. Jahrhundert entstand schliesslich jener Bau, der sich als Höhepunkt maurischer Kultur im Bewusstsein der Menschheit festsetzte: die Alhambra. Die Dynastie der Nasriden leitet ihre Abstammung von einem uralten arabischen Geschlecht ab. Doch was sagt das schon in einem Land, in dem es seit Jahrhunderten nur eine dünne arabische Oberschicht gab? Die Masse des Volkes bestand seit jeher aus Berbern. Berber stellten den Grossteil der Bauern, Krieger und Kaufleute auch im islamischen Reich von Granada.
